Vor der Scharfschaltung von IFRS 16 im Januar 2019 mussten wir bestimmte Anpassungen vornehmen, um die außerhalb der Bilanz befindlichen operativen Leasingverpflichtungen richtig in den Financial Statements zu berücksichtigen. Die wesentlichen Effekte dieser Anpassungen auf die GuV und ein paar wesentliche Ratios konntet ihr im DIY Investor Artikel zum operativen Leasing nachlesen.
Seit die Unternehmen diese Leasingverpflichtungen nun nach IFRS 16 direkt als Schulden in der Bilanz ausweisen müssen, ist dieser Anpassungsbedarf zwar hinfällig. Tatsächlich hat die Umsetzung von IFRS 16 aber einige andere durchaus relevante Auswirkungen, vor allem auf die Ermittlung des freien Cash Flows im Rahmen der DCF-Bewertung.
Um das Thema in ausreichender Detailtiefe abzudecken, möchte ich in zwei Schritten vorgehen: In diesem Artikel möchte ich zunächst einmal auf die wesentlichen aus der Umsetzung von IFRS 16 resultierenden Anpassungen der Financial Statements eingehen und die Zusammenhänge etwas genauer illustrieren. Im Folgeartikel möchte ich mich dann mit den Implikationen auf unsere Bewertungsmodelle – im Speziellen die DCF-Modellierung – befassen.
Ausgangspunkt: Intransparenz bzgl. der wahren Verbindlichkeiten
Der Ausgangspunkt der Ãœberlegungen zum neuen IFRS 16 Standard lag im Wunsch nach einer transparenten Darstellung aller Schulden bzw. Verbindlichkeiten auf der Bilanz.
Die mögliche Klassifizierung eines Leasingvertrages als “operativer Leasingvertrag” ermöglichte es den Unternehmen in der Vergangenheit, die entstehenden Verbindlichkeiten – z.B. die Verpflichtung zu einer langjährigen Mietzahlung – außerhalb der Bilanz (“off-balance”) zu führen.
In diesem Konstrukt wurde ausschließlich die regelmäßige Leasingrate als operative Aufwendung (also oberhalb der EBIT-Linie) berücksichtigt… daher auch die Bezeichnung “operatives Leasing”.
Die finanzielle Stabilität bzw. die zugehörigen Verschuldungskennzahlen (z.B. Debt/Equity, Gearing, Leverage etc.) reflektierten dem entsprechend im Resultat nicht die wahre Verschuldung, sahen also besser aus, als sie eigentlich waren. Das galt insbesondere für Unternehmen mit einem hohen Anteil an langlaufenden Leasing- bzw. Mietverträgen, wie z.B. Unternehmen aus der Systemgastronomie oder der Logistikbranche.
IFRS 16 hat nun diese ich nenne es mal “Schwäche” behoben und verpflichtet die Unternehmen seit Anfang 2019, alle Leasingverträge wie ein Finanzierungsleasing (Finance Lease) zu behandeln.
Aus IFRS 16 resultierende Anpassungen
Was passiert also genau im Rahmen von IFRS 16 bzw. was hat sich seit Januar 2019 konkret geändert?
Ich möchte hier nur ganz kurz auf die theoretischen Zusammenhänge bzgl. der Berücksichtigung von IFRS 16 eingehen, weil die Details sich wie immer viel besser aus dem konkreten Beispiel weiter unten erschließen.
Im Grunde genommen werden zukünftig alle bisher als operativ klassifizierten Leasingverträge wie Finanzierungleasings behandelt, was im Wesentlichen eine volle Berücksichtigung des geleasten Vermögenswertes (also z.B. einer Immobilie oder eines Fahrzeugs) und der zugehörigen Verbindlichkeit auf der Bilanz zur Folge hat.
Die Leasingverträge werden dabei wie zu 100% mit Fremdmitteln finanzierte Vermögenswerte behandelt… und zwar mit (fast) allem was dazu gehört.
Ganz konkret bedeutet das, dass der Vermögenswert (der so genannte “Right-of-Use” Asset, zu deutsch etwas sperrig das “Nutzungsrecht am Leasinggegenstand”) über die Laufzeit des Leasingvertrages entsprechend abgeschrieben wird und dass auf die Leasingverbindlichkeit Zinszahlungen und Tilgungsleistungen berücksichtigt werden. Die Summe aus Zinsen und Tilgungsleistung entspricht dabei genau der regelmäßig zu zahlenden Leasingrate.
Also kurz zusammengefasst:
- Bilanz (Passivseite): Erfassung einer Leasingverbindlichkeit, die dem Barwert der zukünftigen Leasingzahlungen entspricht. Über die Zeit Reduzierung der Verbindlichkeit um den regelmäßigen Tilgungsanteil der Leasingrate analog zu einem gewöhnlichen Annuitätendarlehen oder einer Baufinanzierung
- Bilanz (Aktivseite): Erfassung eines Right-of-Use Assets in Höhe der Leasingverbindlichkeit zum Abschlusszeitpunkt bzw. zum Zeitpunkt der Erfassung. Lineare Abschreibung des Vermögenswertes über die Laufzeit des Leasingvertrags
- GuV: Berücksichtigung der Abschreibung auf den Right-of-Use Asset als operative Aufwendung. Berücksichtigung des Zinsanteils an der Leasingrate im nicht-operativen Zinsaufwand
- Kapitalflussrechnung: Berücksichtigung der geleisteten Leasingzahlung teils im operativen Cash Flow (Zinsanteil), teils im Cash Flow aus Finanzierungstätigkeit (Tilgungsanteil)
Hier noch einmal die Unterschiede zwischen operativem Leasing (“vor IFRS 16”) und Finanzierungsleasing (“nach IFRS 16”) in der Gegenüberstellung:
Im Folgenden möchte ich die Effekte aus der Umstellung auf IFRS 16 einmal anhand eines einfachen fiktiven Beispiels illustrieren. Ausgangspunkt sind dabei die Abschüsse verschiedener Leasingverträge zu Beginn des Geschäftsjahres.
IFRS 16: Beispiel
Ein Unternehmen hat zu Beginn des Jahres verschiedene Leasingverträge mit einer Laufzeit von 8 Jahren und einer jährlichen Leasingrate von insgesamt 200 Mio. EUR abgeschlossen. Der zu Grunde liegende Zinssatz beträgt 5%:
Möchte das Unternehmen den Leasingvertrag nun nach IFRS 16 in der Bilanz erfassen, muss es zunächst den Barwert der zukünftigen Leasingraten wie folgt ermitteln:
Barwert der Leasingraten = 200 / (1,05) + 200 / (1,05)2 + … = 1.293 Mio. EUR
Im ersten Schritt wird nun also nach IFRS 16 auf der Bilanz ein Vermögenswert (der “Right-of-Use Asset”) sowie eine zugehörige Leasingverbindlichkeit in Höhe dieses ermittelten Barwerts erfasst. Zu Beginn des Geschäftsjahres verlängert sich die Bilanz dem entsprechend um 1.293 Mio. EUR.
Im Folgenden möchte ich einmal die wesentlichen Effekte auf Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz und Kapitalflussrechnung über den Verlauf des auf die Erfassung folgenden Geschäftsjahres vorstellen (das erste Jahr der Vertragslaufzeit) und ein paar erste Schlussfolgerungen für die Unternehmensbewertung ziehen.
Gewinn- und Verlustrechnung
Die konkreten Effekte auf die Gewinn- und Verlustrechnung sind grundsätzlich nicht besonders schwer nachzuvollziehen. Etwas schwieriger ist es allerdings, den Zusammenhang zur tatsächlich gezahlten Leasingrate herzustellen und die Brücke zur Welt vor der IFRS 16 Einführung zu schlagen.
Vor IFRS 16: Befänden wir uns noch in einer Welt vor Einführung von IFRS 16, hätte das Unternehmen einfach die Leasingrate in Höhe von 200 Mio. EUR als operativen Aufwand erfasst.
Nach IFRS 16: Nach Berücksichtigung von IFRS 16 fällt diese Leasingrate nun als Aufwand weg und es wird stattdessen eine Abschreibung auf den neu geschaffenen Vermögenswert sowie ein Zinsaufwand auf die zugehörige Leasingverbindlichkeit berücksichtigt:
Die Logik dahinter ist ganz äquivalent zur Erfassung “konventioneller” Vermögenswerte und Verbindlichkeiten:
- Die Anschaffungskosten für einen Vermögenswert werden entsprechend ihrer Nutzungsdauer auf zukünftige Perioden verteilt, d.h. die Kosten werden genau in der Periode berücksichtigt, in der mithilfe des Vermögenswertes Umsätze generiert werden bzw. in der sich der Vermögenswert anteilig abnutzt
- Auf Verbindlichkeiten fallen Zinszahlungen an und es erfolgt je nach Ausgestaltung des Darlehens auch eine Tilgungsleistung
Die Abschreibung des Right-of-Use Asset über die voraussichtliche Nutzungsdauer – in diesem Fall 8 Jahre = die Laufzeit des Leasingvertrages – ergibt sich dabei folgendermaßen:
Abschreibung auf Right-of-Use Asset = Anschaffungswert / Nutzungsdauer = 1.293 / 8 = 162 Mio. EUR
Im Vergleich zur “Vor-IFRS 16-Welt” erhöht sich also die Abschreibung um genau diese 162 Mio. EUR.
Die Ermittlung des Zinsaufwandes ist ähnlich einfach nachzuvollziehen. Diese ergibt sich aus dem festgelegten Leasing-Zins sowie der jeweils aktuellen Leasingverbindlichkeit. Im ersten Jahr entsteht also ein Zinsaufwand in folgender Höhe:
Zinsaufwand = Leasing-Zins x Verschuldung = 5% x 1.293 Mio. EUR = ~65 Mio. EUR
Was sofort ins Auge fällt ist die Tatsache, dass die Summe aus Abschreibung und Zinsaufwand im betrachteten ersten Jahr mit 227 Mio. EUR (162 Mio. EUR + 65 Mio. EUR) größer ist, als die tatsächlich gezahlte Leasingrate von 200 Mio. EUR und deshalb der Nettogewinn geringer ausfällt, als vor IFRS 16.
EBITDA und EBIT hingegen sind nach der Berücksichtigung von IFRS 16 um 200 Mio. EUR bzw. 38 Mio. EUR höher, weil ein Teil der Aufwendungen von operativ nach nicht-operativ (ins Zinsergebnis bzw. unter die EBIT-Linie) verschoben wird.
Darüber hinaus gibt es allerdings noch einen weiteren Effekt, nämlich eine Verschiebung bzw. Angleichung über die Zeit. Über die gesamte Vertragslaufzeit von 8 Jahren gesehen sind die berücksichtigten Aufwendungen und damit der Nettogewinn nämlich in beiden Fällen identisch, wie ihr an der folgenden Abbildung erkennen könnt:
Über die achtjährige Laufzeit des Leasingvertrages gesehen entspricht sowohl die Summe des Tilgungsanteils in der Leasingrate als auch die Summe der Abschreibungen nach IFRS 16 dem angesetzten Wert für den Right-of-Use Asset (nämlich 1.293 Mio. EUR).
Kontext: Funktionsweise Annuitätendarlehen
Die Leasingrate wird hier wie die Kreditrate eines Annuitätendarlehens behandelt und besitzt deshalb eine Zins- und eine Tilgungskomponente. Aufgrund der sinkenden Verschuldung vermindert sich der Zinsanteil über die Zeit und der Tilgungsanteil steigt entsprechend an (von 135 Mio. EUR im ersten Jahr auf 190 Mio. EUR im achten Jahr).
Hier einmal ein beispielhafter Tilgungsplan für die in unserem Beispiel eingegangene Leasingverbindlichkeit:
Wie ihr sehen könnt, verringert sich die Zinszahlung mit abnehmender Verschuldung. Da die Leasingrate bzw. Kreditrate konstant bleibt, steigt der Tilgungsteil gegenläufig zur abnehmenden Zinszahlung an.
Nachrichtlich sei noch erwähnt, dass die höheren Aufwendungen die Steuerlast in den frühen Jahren etwas mindern, was den negativen Effekt auf den Nettogewinn teilweise kompensiert und zu einer echten Abweichung auch im Kapitalfluss führt. Nichts desto trotz fällt der Nettogewinn im ersten Jahr unter Berücksichtigung von IFRS 16 um 20 Mio. EUR niedriger aus.
Kapitalflussrechnung
Als nächstes schauen wir uns die Effekte von IFRS 16 auf die Kapitalflussrechnung an. Hierbei gibt es gleich mehrere Themen zu berücksichtigen.
Um das wesentliche Ergebnis schon einmal vorweg zu nehmen: Der Unterschied in der Veränderung der Cash Position resultiert schlussendlich einzig und allein aus dem geringeren Steueraufwand von 7 Mio. EUR.
Aber vielleicht nochmal einen Schritt zurück. Ausgehend vom in der GuV abgeleiteten Nettogewinn gelangen wir durch Hinzuaddieren der nicht-zahlungswirksamen Abschreibungen zum operativen Cash Flow (OCF). Die Differenz von 142 Mio. EUR zwischen Vor- und Nach-IFRS 16-Betrachtung resultiert aus den folgenden 3 Themen:
- Der Vorsteuergewinn nach IFRS 16 ist um 27 Mio. EUR niedriger als bei Berücksichtigung als operatives Leasing, resultierend aus dem oben erläuterten Unterschied zwischen der Leasingrate und der Summe aus Abschreibung und Zinszahlung (der sich über die Zeit ausgleicht)
- Die Steuerlast ist aufgrund des niedrigeren Vorsteuergewinns nach IFRS 16 um 7. Mio. EUR geringer, sodass sich bzgl. des Nachsteuergewinns netto eine Differenz von 20 Mio. EUR ergibt (auch der Steuereffekt gleicht sich über die Zeit aus)
- Die wieder hinzuzurechnende Abschreibung ist durch die Berücksichtigung des Right-of-Use Assets nach IFRS um 162 Mio. EUR höher
Bei Cash Flow aus Investitionstätigkeit ändert sich nichts. Dieser Aspekt wird allerdings im Rahmen der Betrachtung des freien Cash Flows (Free Cash Flow) nochmal relevant.
Im Vergleich zur Klassifizierung als operativer Leasingvertrag ist der Cash Flow aus Finanzierungstätigkeit nach IFRS 16 um 135 Mio. EUR niedriger. Diese Differenz entspricht exakt dem Anteil der Leasingrate, der noch nicht im Nettogewinn bzw. im operativen Cash Flow berücksichtigt wurde. (Zur Erinnerung: In der GuV wurden bereits 65 Mio. EUR als Zinsaufwand berücksichtigt.)
Also nochmal kurz und knapp zusammengefasst: Im Cash Flow wird in beiden Fällen die gezahlte Leasingrate i.H.v. 200 Mio. EUR erfasst. Nach IFRS 16 wird allerdings ein Teil – der Tilgungsanteil – als Cash Flow aus Finanzierungstätigkeit klassifiziert.
Bilanz
Nachdem wir nun die aus IFRS 16 resultierenden Veränderungen auf GuV und Kapitalflussrechnung im Detail angeschaut haben, können wir uns den Effekten auf die Bilanz zuwenden.
Nach der erstmaligen Erfassung des Right-of-Use Asset sowie der Leasingverbindlichkeit zu Beginn des Jahres müssen wir nun beide Positionen um die entsprechende Abschreibung bzw. die geleistete Tilgung reduzieren:
Right-of-Use AssetJahresende = Right-of-Use AssetJahresanfang – Abschreibung = 1.293 Mio. EUR – 162 Mio. EUR = 1.131 Mio. EUR
LeasingverbindlichkeitJahresende = LeasingverbindlichkeitJahresanfang – Tilgung = 1.293 Mio. EUR – 135 Mio. EUR = 1.158 Mio. EUR
Die Tatsache, dass der Buchwert des Right-of-Use Asset stärker abnimmt, als die zugehörige Verbindlichkeit wird – soviel können wir bereits jetzt sagen – zu einem im Vergleich niedrigeren Eigenkapital führen.
Die Veränderung des Eigenkapitals können wir im Wesentlichen aus zwei Blickwinkeln betrachten.
Zum einen sollte sie sich direkt aus dem laut GuV erwirtschafteten und nicht in Form einer Dividende ausgeschütteten Nettogewinn (der Zuführung zur Gewinnrücklage bzw. den Retained Earnings) ergeben:
EKJahresende = EKJahresanfang + Zuführung zur Rücklage = 1.200 Mio. EUR + 280 Mio. EUR = 1.480 Mio. EUR
Gegenüber der Vor-IFRS 16-Betrachtung reduziert sich das Eigenkapital also um 20 Mio. EUR.
Zum anderen sollte der Bilanzausgleich nach Berücksichtigung der Veränderung aller durch die IFRS 16 Anpassungen beeinflussten Bilanzpositionen zum gleichen Ergebnis führen.
Hier haben wir auf der Aktivseite insgesamt einen Zuwachs von 1.138 Mio. EUR, davon 7 Mio. EUR Veränderung der Cash Position entsprechend der Kapitalflussrechnung. Auf der Passivseite bzw. bei der Verschuldung haben wir hingegen eine Erhöhung um 1.158 Mio. EUR, sodass die Differenz von 20 Mio. EUR durch eine Veränderung (Verringerung) des Eigenkapitals aufgefangen werden muss, um die Bilanz auszugleichen.
Hier einmal die Darstellung der Bilanz vor und nach IFRS 16:
Wie ihr sehen könnt, geht die Rechnung auf: Die Summe aus EK und Schulden entspricht genau der Summe der Vermögenswerte. Die Veränderung der Cash Position sowie die Veränderung des Eigenkapitals sind konsistent mit der Gewinn- und Verlustrechnung und dem Cash Flow Statement.
Ausblick: Probleme mit der Ermittlung des Free Cash Flow
Wir haben nun gesehen, zu welchen Anpassungen an Gewinn- und Verlustrechnung (GuV), Bilanz und Cash Flow Statement die Umsetzung von IFRS 16 in der Praxis führt:
- Die Leasingverpflichtung wird als Verbindlichkeit auf der Bilanz erfasst. Für diese Verbindlichkeit fallen entsprechend Zinsen an (gewinnwirksam). Im Cash Flow aus Finanzierungstätigkeit wird eine regelmäßige Tilgung berücksichtigt (nicht-gewinnwirksam)
- Es wird ein Vermögenswert erfasst und über die Zeit gewinnmindernd abgeschrieben
Soweit, so richtig. Hier nochmal eine zusammenfassende Darstellung aller bisher beschriebenen Effekte:
Ich weiß nicht, ob es euch bis hierher bereits aufgefallen ist, aber es gibt noch zwei wesentliche Unterschiede im Vergleich zur Erfassung eines käuflich erworbenen physischen oder immateriellen Vermögenswertes:
- Es gibt kein initiales Investment, keinen entsprechenden CapEx oder Cash-Outflow, um den Asset überhaupt erstmal zu erwerben
- Es gibt keinen initialen Cash Inflow aus Finanzierungstätigkeit, der die anfängliche Kreditaufnahme widerspiegelt
Auf die übergeordnete Entwicklung der Cash Position hat dieser Umstand zwar keinen Einfluss, weil sich initiales Investment und Kreditbetrag genau entsprechen und sich deshalb gegenseitig aufheben würden. Auf den freien Cash Flow wiederum – die wesentliche Kennzahl für die Unternehmensbewertung – ist der Einfluss substantiell, weil die Finanzierungstätigkeit bei der Betrachtung außen vor ist.
Im Klartext bedeutet das: Wir haben zwar einerseits eine gewinnmindernde, aber nicht cash-wirksame Abschreibung, andererseits aber keinen entsprechenden Cash Outflow. Dies führt dazu, dass eine konventionelle Free Cash Flow Berechnung den tatsächlichen freien Cash Flow – und damit auch den Unternehmenswert – systematisch überschätzt… wenn wir nicht einige Anpassungen vornehmen.Auf die richtige Berücksichtigung dieser Problematik in einem DCF-Modell gehe ich im oben angesprochenen Folgeartikel etwas detaillierter ein.
IFRS 16: Ausnahmen von der Regel
Zwar müssen laut IFRS 16 grundsätzlich alle Leasingverträge zukünftig wie Finanzierungsleasings behandelt werden. Bestimmte Arten von Leasingverträgen sind allerdings nach wie vor von IFRS 16 ausgenommen. Darüber hinaus besteht bzgl. bestimmter anderer Aspekte ein Wahlrecht (Details findet ihr auch in diesem guten Paper von Deloitte).
Von IFRS 16 ausgenommen sind
- Verträge über die Erforschung von nicht-regenerativen Ressourcen wie Öl- und Gas, Mineralien, Erze
- Rechte aus Lizenzverträgen über Filme, Videoaufnahmen, Theaterstücke, Patente, Urheberrechte etc., die unter IAS38 (Immaterielle Vermögenswerte) fallen
- Vereinbarungen über biologische Vermögenswerte nach IAS41 (Landwirtschaft)
- Dienstleistungsvereinbarungen im Anwendungsbereich von IFRIC 12 (Dienstleistungsvereinbarungen)
- Lizenzvereinbarungen über geistiges Eigentum
Ein Wahlrecht bzgl. der Anwendung von IFRS 16 gilt für
- Weitere immaterielle Vermögenswerte
- Leasingverträge über Nutzungsrechte für geringwertige Vermögenswerte mit einem Neupreis von bis zu 5.000 USD
- Kurzlaufende Leasingverträge mit einer Laufzeit von bis zu 12 Monaten
Diese Wahlrechte und Ausnahmeregelungen führen dazu, dass wir Teile der von den Unternehmen gezahlten Leasingraten nach wie vor im operativen Ergebnis wiederfinden werden. Um die Details zu verstehen, müssen wir uns dem Anhang zum Jahresabschluss zuwenden. Dieser enthält meist eine detaillierte Aufstellung über die konkreten Aufwendungen und Zahlungen in Verbindung mit Leasingverträgen.
Scout24 z.B. führt im Anhang zum Jahresabschluss die folgenden Tabellen auf:
Aus Leasing resultierende Aufwendungen und Auszahlungen [Tsd. EUR]; Quelle: Scout24 Geschäftsbericht 2019
Aus den Aufwendungen für kurzfristige und geringwertige Verträge wird recht deutlich, dass Scout24 sein Wahlrecht entsprechend ausgeübt und bestimmte Leasingverträge nicht gemäß IFRS 16 als Finance Lease klassifiziert hat.
IFRS 16 versus US GAAP
Grundsätzlich können wir festhalten, dass die Überarbeitung der Regeln für die Berücksichtigung operativer Leasingverbindlichkeiten ein Gemeinschaftsprojekt von IASB (verantwortlich für IFRS) und FASB (verantwortlich für US GAAP) darstellt.
Nichts desto trotz gibt es einige nicht ganz unwesentliche Unterschiede zwischen beiden Regularien (hier findet ihr einen ganz guten Artikel von KPMG zu dem Thema).
Wichtigster Punkt für uns Investoren ist aus meiner Sicht die Tatsache, dass US GAAP nach wie vor zwischen operativem Leasing (Operating Lease) und Finanzierungsleasing (Finance Lease bzw. Capital Lease) differenziert.
Zwar werden Leasingverbindlichkeit und zugehöriger Right-of-Use Asset bei beiden Arten von Leasingverträgen auf der Bilanz erfasst. Die Berücksichtigung der Leasingzahlung in der GuV unterscheidet sich allerdings.
Beim Finance Lease funktioniert alles analog zur IFRS 16 Regelung, beim Operating Lease wird die gesamte Leasingrate wie bisher als operativer Aufwand erfasst.
Dem entsprechend sollten operative Leasingverträge nach US GAAP keine Probleme mit der Berechnung des freien Cash Flow hervorrufen.Fazit
IFRS 16 ist ein neuer, seit Januar 2019 gültiger Accounting Stand, der die Unternehmen dazu verpflichtet, bisher außerhalb der Bilanz befindliche Leasingverpflichtungen (operative Leasingverträge) explizit als Verbindlichkeit auf der Bilanz auszuweisen.
Diese verpflichtende Behandlung als Finanzierungsleasing führt zu teilweise signifikanten Veränderungen nicht nur in der Bilanz, sondern auch in der GuV und der Kapitalflussrechnung.
Zusammenfassend wird ein der Leasingverbindlichkeit zugehöriger Vermögenswert (der Right-of-Use Asset) auf der Bilanz erfasst, der anschließend über die Laufzeit des Leasingvertrages gewinnwirksam (läuft also über die GuV) abgeschrieben wird.
Auf die Leasingverbindlichkeit selbst werden – ebenfalls gewinnwirksam – “virtuelle” Zinszahlungen fällig. Tilgungsleistungen (die Differenz aus tatsächlicher Leasingrate und virtueller Zinszahlung) werden als Cash Flow aus Finanzierungstätigkeit erfasst.
1 Kommentar zu „IFRS 16: Der ultimative Guide zum Accounting von Leasingverträgen“
Super Artikel, hat das doch eher komplexe Thema sehr gut auf den Punkt gebracht!