Bei der Graham Formel handelt es sich um ein weiteres relatives Bewertungsverfahren ganz ähnlich zu den Ansätzen von Vitaly Katsenelson (Absolute PE) und Nicolas Schmidlin (faires KGV). Die Graham Formel ist, wie der Name schon sagt, auf Benjamin Graham zurückzuführen, den ehemaligen Professor an der Columbia Business School, zu dessen Schülern auch Warren Buffett gehörte.
In diesem Artikel möchte ich die Graham Formel einmal etwas tiefer analysieren und auch auf ein paar Schwachstellen des Ansatzes eingehen.
Falls ihr mehr über die speziell an der Bilanz orientierten Bewertungsverfahren von Ben Graham erfahren möchtet, dann lest euch auch unsere Artikel zum Deep Value Investing sowie zum Net Net Ansatz durch. Graham’s 10-Punkte-Checkliste zur Aktienauswahl findet ihr ebenfalls auf DIY Investor.
Die Graham Formel
Die Graham Formel wurde zum ersten Mal im Buch Security Analysis bzw. Wertpapieranalyse in der Ausgabe des Jahres 1962 (die aktuelle Auflage ist aus 2016) veröffentlicht, das Ben Graham damals zusammen mit David Dodd verfasst hat.
Auch Graham’s späteres Werk The Intelligent Investor bzw.Intelligent Investieren enthält ein Kapitel zur Graham Formel welches die Überschift “Capitalization Rate for Growth Stocks” trägt, was in meiner freien Übersetzung soviel wie “Kapitalisierungsrate für Wachstumsaktien” bedeutet. Graham ging es also primär um die Herleitung einer einfachen Bewertungsformel für die Bewertung von Wachstumsaktien.
Wenn wir uns die Graham Formel einmal etwas genauer ansehen, dann stellen wir fest, dass es sich bei der Kapitalisierungsrate bzw. dem Kapitalisierungsfaktor im Grunde genommen um nichts anderes handelt, als um ein faires Kurs-Gewinn-Verhältnis, wie es später auch Vitaly Katsenelson und andere in etwas detaillierterer Form hergeleitet haben.
Hier einmal die originale Graham Formel:
Intrinsischer Wert = Aktueller (bzw. normalisierter) Gewinn x (8,5 + 2 x erwartete jährliche Wachstumsrate)
Im Gegensatz zum Absolute PE Ansatz oder zum fairen KGV nutzt Graham in seiner Originalversion der Graham Formel also nur zwei Faktoren:
- ein Basis KGV von 8,5
- das Doppelte der erwarteten Wachstumsrate als Anpassungsfaktor
Das Basis KGV von 8,5 spiegelt den Multiplikator bei einem erwarteten Nullwachstum wieder (Katsenelson nutzt hier einen etwas konservativeren Faktor von 8,0). Die Wachstumsrate sollte laut Graham das erwartete Wachstum der kommenden 7 bis 10 Jahre repräsentieren.
In der oberen der folgenden zwei Tabellen seht ihr die fairen KGVs bzw. Multiplikatoren für verschiedene erwartete Wachstumsraten. Bei einer erwarteten Wachstumsrate von 20% pro Jahr würde der Multiplikator z.B. 48,5 betragen (8,5 + 2 x 20).
Quelle: Ben Graham: The Intelligent Investor
Die untere der zwei Tabellen enthält so etwas wie einen Backtest der Wachstumsraten. Die Graham Formel lässt sich nämlich ganz einfach nach der erwarteten Wachstumsrate auflösen. Mithilfe des aktuellen Aktienkurses können wir dann so etwas wie die implizite Wachstumsrate ausrechnen:
Wachstumsrate g = [(Aktueller Aktienkurs / Aktueller (bzw. normalisierter Gewinn) – 8,5] / 2 = (P/E – 8,5) / 2
Ein Vergleich der dritten mit der sechsten Spalte sagt uns, dass die Formel in den meisten Fällen gar nicht so weit von der dann tatsächlich aufgetretenen Wachstumsrate entfernt lag. Heißt im Umkehrschluss: der Markt hatte bereits in 1963 die Wachstumsraten für die nächsten 5 Jahre mehr oder weniger richtig in die Bewertungen eingepreist.
Die Berechnung der im aktuellen Aktienkurs berücksichtigten Wachstumsrate kann übrigens ein guter Weg sein, um eine überschlägige Bewertung durchzuführen. Sehr ähnlich funktioniert z.B. der Reverse DCF-Ansatz, in dem ein Discounted Cash Flow Modell zur Berechnung der impliziten Wachstumsrate verwendet wird. In den meisten Fällen ist es nämlich viel einfacher, abzuschätzen, ob eine Wachstumsrate zu hoch oder zu niedrig ist, als selbst eine konkrete Abschätzung über das erwartete Wachstum zu treffen.
Graham Formel Version 2.0
Ben Graham hat die Graham Formel zu einem späteren Zeitpunkt nochmal überarbeitet und leicht angepasst. Die erweiterte Graham Formel sieht nun folgendermaßen aus:
Intrinsischer Wert = [Aktueller (bzw. normalisierter) Gewinn x (8,5 + 2 x erwartete jährliche Wachstumsrate)] x 4,4 / Y
Im Wesentlichen geht es in dieser Anpassung nur um eine Normalisierung des Zinsniveaus auf den aktuellen Wert. Ich bin ja bereits in meinem Artikel zum Thema KGV und Zinssatz auf den Zusammenhang zwischen der durchschnittlichen Bewertung des Aktienmarktes und dem Zinsniveau eingegangen.
So repräsentiert nun der Faktor 4,4, den Graham der Formel über dem Bruchstrich hinzugefügt hat, den risikolosen Zinssatz zu der Zeit, als er die Analysen durchgeführt hat. Um die Formel auf das aktuelle Zinsniveau anzupassen, teilt Graham noch durch Y, welches das aktuelle Zinsniveau (für AAA Corporate Bonds) repräsentiert.
Gehen wir also einmal vom aktuellen Zinsniveau aus (historische Daten hierzu gibt es z.B. von der Federal Reserve Bank of St. Louis), dann müssen wir das P/E Ratio noch leicht erhöhen (Faktor 4,4 / 3,8). Die Richtung stimmt also: Je niedriger das aktuelle Zinsniveau, desto höher die “faire” Aktienbewertung.
Schwachstellen der Graham Formel
Graham selbst hat in Intelligent Investieren bereits angedeutet, dass die Graham Formel ein paar Schwachstellen hat und eigentlich nur als erster Anhaltspunkt gedacht ist. Aus diesem Grund ist die Formel vermutlich auch im Buch nicht besonders prominent platziert.
Folgenden Hinweis gibt Graham bzgl. der Formel:
Note that we do not suggest that this formula gives the “true value” of a growth stock, but only that it approximates the results of the more elaborate calculations in vogue.
Weiterhin führt Graham aus, dass die jede Bewertung auf Basis zukünftig erwarteter Gewinne auch das (zukünftig erwartete) Zinsniveau berücksichtigen sollte, dass dies aber quasi unmöglich sei:
Such assumptions have always been difficult to make with any degree of confidence, and the recent violent swings in long-term interest rates render forecasts of this sort almost presumptuous. Hence we have retained our old formula above, simply because no new one would appear more plausible.
Diesen Punkt hat Graham in der überarbeiteten Graham Formel übrigens auch nicht adressiert. Diese enthält – jedenfalls nach meinem Verständnis – nur eine Anpassung vom damaligen Zinsniveau von 1963 auf das aktuelle Zinsniveau.
Normalisierte Gewinne
Wie bereits in der Graham Formel enthalten, sollte die Berechnung des intrinsischen Wertes auf Basis des normalisierten Gewinns durchgeführt werden. Hierfür können wir entweder direkt einen Durchschnittswert des Gewinns verwenden, oder z.B. auch mit einer durchschnittlichen Gewinnmarge und dem aktuellen Umsatzniveau arbeiten (mehr dazu findet ihr im Artikel zur Normalisierung der Gewinne und Cash Flows).
Allerdings ist trotz Normalisierung der Nettogewinn natürlich nicht die ideale Kennzahl für eine Bewertung. Besser wäre es, eine Cash Kennzahl und z.B. ein Kurs-Cash Flow-Verhältnis zu nutzen, da der Gewinn natürlich relativ stark “manipuliert” werden kann.
Wachstum
Wie auch bei den anderen Verfahren zur Abschätzung eines “fairen” KGVs bzw. eines “fairen” PE Ratios hat die Wachstumsrate auch in der Graham Formel den weitaus größten Einfluss auf den intrinsischen Wert. Gleichzeitig ist die Wachstumsrate eine der am schwersten zu prognostizierenden Inputgrößen.
Wir sehen außerdem, dass die Graham Formel im Vergleich zu den später entwickelten Ansätzen einen recht aggressiven Faktor für die Übersetzung der Wachstumsrate in ein KGV bzw. P/E Ratio verwendet (Faktor 2 versus Faktor 0,65 bei Katsenelson).
Um beim gleichen Beispiel zu bleiben: Für Facebook würde die Graham Formel auf Basis der gleichen Annahmen wie bei der Berechnung des Absolute PE folgenden intrinsischen Wert ermitteln:
Intrinsischer Wert = EPS x (8,5 + 2 x g) = 5,39 USD je Aktie x (8,5 + 2 x 25%) = 315 USD je Aktie
Ich bin mir aktuell nicht sicher, ob die Graham Formel einfach aus historischen Gesichtspunkten heraus zu aggressiv ist (z.B. einfach weil die Wachstumsaktien damals ganz andere (niedrigere) Wachstumsraten aufwiesen), oder ob Mr. Market aktuell das Wachstum einfach nicht ganz richtig einschätzt. Die im aktuellen Aktienkurs berücksichtigte Wachstumsrate für die nächsten 7 bis 10 Jahre läge nach der originalen Graham Formel irgendwo in der Größenordnung von 13%:
Implizite Wachstumsrate g = [(Aktienkurs / EPS) – 8,5] / 2 = [(185 / 5,39) – 8,5] / 2 = ~13%
De facto wächst Facebook aber aktuell ca. doppelt so schnell (und ich vermute, dass auch der CAGR über den Zeitraum der nächsten 7 bis 10 Jahre aggregiert noch höher sein wird), sodass diese Wachstumsrate eher konservativ bzw. der Faktor von 2 eher hoch erscheint.
Dem entsprechend gibt es auch bereits Anpassungen der Formel, die nur noch von einem Faktor von 1 ausgehen (z.B. Jae Jun von Old School Value), also:
Intrinsischer Wert = Aktueller (bzw. normalisierter) Gewinn x (8,5 + 1 x erwartete jährliche Wachstumsrate)
Ich jedenfalls bin bei der Benutzung der originalen Graham Formel eher vorsichtig und würde das Ergebnis ggf. eher als obere Grenze des der Abschätzung des intrinsischen Wertes ansehen.
Fazit
Die Graham Formel, die von Benjamin Graham im Jahr 1962 entwickelt bzw. veröffentlicht wurde, war vermutlich der Ausgangspunkt für die Überlegungen von Vitaly Katsenelson bei der Entwicklung seines Absolute PE Ansatzes. Beide Ansätze sind jedenfalls von der Logik und Herangehensweise her ziemlich ähnlich:
- Es gibt ein Basis PE oder Basis KGV (bei Graham gleich 8,5), das den aktuellen Wert bei Nullwachstum abbildet
- Es gibt einen weiteren Faktor (bei Graham gleich 2 mal die Wachstumsrate), der das zukünftige Gewinnwachstum berücksichtigt… bei Katsenelson kommen dann noch ein paar weitere Faktoren hinzu
Umgestellt und nach der Wachstumsrate aufgelöst, können wir die Graham Formel gut nutzen, um die aktuell im Aktienkurs berücksichtigte Wachstumsrate zu ermitteln und einzuschätzen.
Dafür müssen wir allerdings davon ausgehen, dass der Faktor 2, den Graham für die Übersetzung der Wachstumsrate in das KGV verwendet, heute immernoch gilt. Im Vergleich zu den anderen Ansätzen (faires KGV und Absolute PE) scheint dieser Faktor allerdings recht hoch zu sein, sodass es bereits einige Anpassungen der Graham Formel gibt, in denen nur noch mit einem Faktor von 1 x g gearbeitet wird.
Graham selbst hielt die Formel übrigens auch eher für eine grobe Abschätzung verwies auf weitere, detailliertere Analysen. Darüber hinaus machte er klar, dass es einen Zusammenhang zum heutigen (in Version 2 der Formel ja abgebildet) und zukünftigen Zinsniveau (nicht abgebildet) geben sollte.
2 Kommentare zu „Die Graham Formel: Ein einfaches Tool zur Bewertung von Wachstumsaktien“
Grüße,
mir ist ein Fehler hier aufgefallen. Ihr rechnet direkt bei der Grahamformel ..(8,5+2*25%(… ihr macht hier den Prozentfehler. Um das richtig zu rechnen muss man die Prozent “übersetzen. Richtig wäre also …(8,5+2*0,25)…
Kann mal einer ein aktuelles Beispiel in den Kommentaren einfügen?
Microsoft zum Beispiel?
Ich komm immer auf genau den Wert der auch aktuell ist😖Microsoft zb 384,50
Das ist doch aber nicht der faire Wert oder?da müsste ich ja aktuell alles kaufen.obwohl überall neue ATH sind