In meinen letzten beiden Artikeln hatte ich die Themen REIT und Net Debt etwas näher beleuchtet. Beim Thema Nettoverschuldung war ich insbesondere auf die verschiedenen Definitionen und Abgrenzungen eingegangen.
In diesem Artikel möchte ich im Rahmen einer kleinen Fallstudie (wieder die Deutsche Konsum REIT-AG) einmal darauf eingehen, warum wir immer auf die Definition der im Unternehmensreporting verwendeten Kennzahlen achten sollten… hier am Beispiel der Nettoverschuldung und des Enterprise Value.
Das Thema hatte meine Aufmerksamkeit erregt, weil sich der Aktienkurs der DKR in der letzten Zeit gar nicht bewegt hat bzw. sogar eine leichte Abwärtsbewegung vollzogen hat, obwohl das Unternehmen die Mieteinnahmen in den letzten 9 Monaten von 63,1 auf ca. 68,5 Mio. EUR (also um 8,6%) erhöhen konnte und die Pro Forma Mieteinnahmen sogar bereits bei 73 Mio. EUR liegen (das wäre dann aufs Jahr gerechnet bereits eine Steigerung von fast 16%).
Portfoliowachstum versus Wachstum NAV je Aktie
Wenn wir also von einer konstanten Bewertung ausgehen (sagen wir mal dem 14-fachen der Mieteinnahmen), dann müsste sich der Portfoliowert um ca. 76 Mio. EUR auf dann insgesamt ca. 960 Mio. EUR erhöht haben:
Wertsteigerung Portfolio = Mietsteigerung x Multiple = (68,5 – 63,1) x 14 = 75,6 Mio. EUR
Dies entspricht logischerweise der eben genannten Wachstumsrate von ca. 8,6%.
Damit sich dieses Wachstum ganz äquivalent nun auch in einen höheren Aktienkurs übersetzen kann, müssen drei Dinge gegeben sein (zunächst mal rein mathematisch):
- Der Anteil der Nettoverschuldung an der Kapitalstruktur müsste konstant geblieben sein
- Es dürfte keine verwässernde Kapitalerhöhung stattgefunden haben
- Die Investoren müssten von einem konstanten Bewertungsniveau (= Multiple) ausgehen
Zunächst mal zum zweiten Punkt: Laut der beiden relevanten Investorpräsentationen (also für das GJ 2019/20 und die ersten 9 Monate 2020/21) lag die Anzahl der ausstehenden Aktien jeweils bei 35,156 Mio. Stück und ist damit konstant geblieben. Eine Veränderung der Aktienanzahl sollte also keinen Einfluss auf den NAV je Aktie haben.
Den dritten Punkt setzen wir einfach einmal als gegeben voraus. Es gibt glaube ich aktuell auch keine Indikation dafür, dass der Kapitalmarkt heute anders auf das Unternehmen schaut, als noch vor 6 oder 9 Monaten… von der leichten Anpassung der Prognose einmal abgesehen.
Hinweis: Es gibt noch zwei ausstehende Wandelanleihen, nach deren Ausübung sich die Aktienanzahl auf knapp unter 50 Mio. Aktien erhöhen könnte (genauer gesagt auf 49,957 Mio. Stück). Dies lastet vermutlich zwar ganz generell auf dem Kurs, stellt allerdings im Vergleich zum Ende des Geschäftsjahres 19/20 keine neue Information dar und war deshalb vermutlich bereits damals irgendwo eingepreist.
Entwicklung von Nettoverschuldung und NAV
Die Nettoverschuldung auf der anderen Seite hat im gleichen 9-Monats-Zeitraum von 427,0 auf 538,4 Mio. EUR zugelegt, ein Plus von 111,4 Mio. EUR bzw. ca. 26%.
Das heißt aufgrund der Erhöhung der Nettoverschuldung ist der NAV (der Net Asset Value, also im Wesentlichen der Wert des Eigenkapitals) de facto zurückgegangen:
Veränderung NAV = Veränderung Portfoliowert – Veränderung Nettoverschuldung = 75,6 – 111,4 = -35,8 Mio. EUR
De facto wurden außerdem netto mehr neue Schulden aufgenommen, als für den Erwerb der neuen Einheiten insgesamt hätte investiert werden müssen. Damit der NAV ebenfalls um eben jene 8,6% ansteigt (das wären ca. 39 Mio. EUR), hätte die Nettoverschuldung nur um ca. 37 Mio. EUR zunehmen dürfen (also 427 Mio. EUR Net Debt x 8,6%).
Die Frage ist also: Wo ist das neu aufgenommene Kapital eigentlich hingeflossen? Und welche Möglichkeiten gibt es dafür?
Folgende Optionen sind mir direkt eingefallen:
- Ein Teil des Kapitals wurde zunächst – bis zur Akquisition neuer Objekte – auf dem Geschäftskonto geparkt
- Für die Zukäufe in den letzten 9 Monaten wurde tatsächlich weit mehr als das 14-fache der Kaltmiete bezahlt
- Er wurden Dividenden ausgeschüttet
- Das Kapital wurde in Vermögenswerte investiert, die weder zu den als Finanzanlagen gehaltenen Immobilien, noch zu den liquiden Vermögenswerten zählen und deshalb weder zum Portfoliowert beitragen, noch mit der Verschuldung zum Net Debt verrechnet werden
- Die Verschuldung wurde bewusst wieder etwas näher an den für einen REIT möglichen LTV-Grenzwert von 55% herangeführt, um in Zukunft ein stärkeres Wachstum zu ermöglichen
Zu Punkt 1: Dass das Kapital noch auf dem Bankkonto liegt und sozusagen darauf wartet in neue Objekte investiert zu werden können wir denke ich ausschließen, weil der Effekt auf die Nettoverschuldung in einem solchen Fall ja gleich Null wäre (Verschuldung und Cash würden äquivalent zunehmen und für die Berechnung des Net Debt direkt wieder verrechnet).
Zu Punkt 2: Die Anfangsrendite für die letzten ca. 15 zugekauften Objekte lag zwischen 7,2% und 11,5%, also zwischen dem ca. 8,5- und dem 14-fachen der Kaltmiete. Dieser Aspekt wirkt also in die entgegengesetzte Richtung. Gehen wir von einem durchschnittlichen Ankaufpreis vom ca. 12-fachen der Kaltmiete aus, dann sollte der NAV eigentlich noch um ca. 11 Mio. EUR mehr zugenommen bzw. die Nettoverschuldung um ca. 11 Mio. EUR weniger zugenommen haben (= 2 x 5,4 Mio. EUR Mietsteigerung).
Zu Punkt 3: Im laufenden Jahr wurde tatsächlich eine Dividende in Höhe von ca. 14 Mio. EUR ausgeschüttet (aufgrund der Ausschüttungsregeln für einen REIT entspricht dieser Wert mehr oder weniger dem handelsrechtlichen Jahresüberschuss des Vorjahres: Case Study G-REIT). Diese 14 Mio. EUR können wir also gedanklich schonmal von der Nettoverschuldung abziehen, da der Betrag ja tatsächlich den Anteilseignern zugeflossen ist.
Bezüglich des vierten Punktes stellen sich die folgende Fragen: Ist die Nettoverschuldung wie von der Deutschen Konsum REIT-AG berechnet bzw. veröffentlicht hier überhaupt der richtige Indikator oder gibt es noch andere Bilanzpositionen, die wir eigentlich berücksichtigen müssten? Oder gibt es ggf. noch weitere Vermögenswerte, die wir noch dem Anlagevermögen zuordnen sollten?
Erklärung Nr. 5 greift aus meiner Sicht dann, wenn wir nach der Analyse der Bilanz und ggf. resultierenden Anpassungen nach wie vor eine steigende Nettoverschuldung beobachten können.
Definition bzw. Berechnungslogik der Nettoverschuldung
Schauen wir uns also die Berechnungslogik der Nettoverschuldung bzw. die Bilanz einmal etwas genauer an.
Hier die zugehörige Berechnung dazu aus dem Anhang der letzten Investorpräsentation der Deutschen Konsum (9M 2020/21):
Berechnung der Nettoverschuldung Deutsche Konsum REIT; Quelle: Investorpräsentation 9M 2020/21
Wie ihr seht werden auf der Schuldenseite i.W. die Bankschulden sowie die Anleiheschulden berücksichtigt, im Grunde genommen also die klassische Finanzverschuldung… signifikante weitere zinstragende Schulden (Pensionsschulden oder Rückbauverpflichtungen oder Ähnliches) gibt es zugegebenermaßen allerdings auch nicht.
Höchstens die Leasingverbindlichkeiten i.H.v. ca. 10 Mio. EUR (klassifiziert als “Sonstige langfristige Verbindlichkeiten”) sollten noch erwähnt werden. Diese werden ja von den Ratingagenturen für die Ermittlung der Net Debt (bzw. des “Adjusted Debt”) ebenfalls als Schulden bezeichnet.
Auf der Seite der gegenzurechnenden Barmittel und liquiden Vermögenswerte werden i.W. der Kassenbestand sowie die kurzfristigen Investments bzw. Vermögenswerte angesetzt. Bei letzteren handelt es sich laut GB 2019/20 vor allem um Forderungen ggü. Gesellschaftern.
Unberücksichtigte, aber relevante Bilanzpositionen
Die Tatsache, dass die Leasingverbindlichkeiten i.H.v. ca. 10 Mio. EUR bei der Berechnung der Nettoverschuldung nicht berücksichtigt werden, habe ich oben ja bereits erwähnt.
Wenn wir nun die weiteren Positionen auf der Aktivseite der Bilanz nochmal mit der Berechnungslogik der Nettoverschuldung und des EV abgleichen, dann fallen uns noch zwei weitere Themen ins Auge:
- Die sonstigen langfristigen Vermögenswerte i.H.v. ca. 45 Mio. EUR
- Die zum Verkauf gehaltenen Vermögenswerte i.H.v. ca. 3 Mio. EUR
Wenn wir den Bericht einmal etwas genauer durchsehen, dann finden wir schnell die entsprechende Stelle: Bei den 45 Mio. EUR handelt es sich um Anzahlungen für Immobilienkäufe. Es wurden also bereits Kaufpreiszahlungen für Objekte geleistet, für die der Besitzübergang bis zum letzten Bilanzstichtag am 30.06.2021 noch nicht stattgefunden hat und die deshalb in den Mieteinnahmen noch nicht berücksichtigt werden.
Bei den zum Verkauf gehaltenen Vermögenswerten sollte es sich entweder um eine Immobilie oder aber um in der Vergangenheit erworbene Darlehen über die Creditshelf-Plattform handeln (hier investiert die Deutsche Konsum mindestens Teile ihrer überschüssigen Liquidität).
Anpassungen von EV und Net Debt
Von der Logik her könnte man die Leasingverbindlichkeiten und auch die zum Verkauf stehenden Vermögenswerte zusätzlich bei der Berechnung der Nettoverschuldung berücksichtigen (die zum Verkauf stehenden Vermögenswerte deshalb, weil diese ja vermutlich kurzfristig in Cash umgewandelt werden). Die Nettoverschuldung würde also konsequenterweise um ca. 7 Mio. EUR zunehmen.
Auf der anderen Seite würden wir die sonstigen langfristigen Vermögenswerte zum Immobilienvermögen hinzurechnen. Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten:
- Wir nehmen an, dass der intrinsische Wert dem tatsächlich gezahlten Kaufpreis, also 45 Mio. EUR, entspricht… das entspräche bei einer akquirierten Miete von ca. 4,2 bis 4,5 Mio. EUR einem Vervielfältiger von ca. 10
- Wir nehmen an, dass der intrinsische Wert aufgrund der Diversifizierung des Portfolios und der Managementfähigkeiten der DKR quasi bereits unmittelbar nach dem Besitzübergang auf das Bewertungsniveau des Restportfolios springt. Das wären dann 4,2-4,5 Mio. EUR x 14 = ~59-63 Mio. EUR
FYI: Die Deutsche Konsum REIT-AG selbst wählt in ihrer Investorpräsentation den zweiten Ansatz. Der EV wird dort im Rahmen der Darstellung des Upside-Potenzials für die Aktie unter anderem auch auf Basis der Pro Forma Mieterträge (also inkl. der noch nicht übergegangenen Objekte) ermittelt.
Auch wichtig: In diesem Zusammenhang sollten wir hier nicht den Fehler begehen und gleichzeitig sowohl den Enterprise Value auf Basis der Pro Forma Mieterträge ermitteln (also inklusive der noch nicht in den Besitz der DKR übergegangenen Objekte), als auch die sonstigen langfristigen Vermögenswerte bei der Ermittlung des EV berücksichtigen.
Wesentliche Erkenntnis ist also: Der Enterprise Value Stand heute ist eigentlich noch um ca. 38-56 Mio. EUR höher, als die vereinfachte Berechnungslogik auf Basis des Multiples der aktuellen Mieterträge und der durch die Deutsche Konsum ausgewiesenen Nettoverschuldung suggeriert, weil wir bestimmte Bilanzpositionen noch nicht berücksichtigt haben:
Anpassung EV = + 45-63 Mio. EUR Immobilien mit Besitzübergang nach dem Stichtag + 3 Mio. EUR zum Verkauf gehaltene Vermögenswerte – 10 Mio. EUR Leasingverbindlichkeiten = ~ + 38-56 Mio. EUR
Über den Daumen sprechen wir hier also von einem Wert von ca. 1 bis 1,5 EUR je Aktie, den wir zum aktuellen NAV (ohne Berücksichtigung der weiteren Objekte und auf Basis der Nettoverschuldung analog DKR-Logik berechnet) noch hinzurechnen können.
Exkurs: LTV
Ein deutscher REIT – und das unterscheidet die deutsche Version von ihrem US-amerikanischen Pendant – kann sich in Summe maximal eine Nettoverschuldung in Höhe von 55% des gesamten Portfoliowertes (LTV = Loan-to-Value) erlauben. Andersfalls würde das Unternehmen seinen REIT-Status – und damit auch seine Steuervorteile – verlieren.
Gehen wir wie gesagt von einer fairen Bewertung vom ca. 14-fachen der Kaltmiete aus (die tatsächlichen Bilanzkennzahlen bzw. die regelmäßige Bewertung von CBRE kann durchaus davon abweichen), dann lag der LTV der Deutschen Konsum zum Ende des Geschäftsjahres 2019/20 bei ca. 45%.
Nach den Zukäufen und der Schuldenaufnahme im Laufe des Jahres 2020/21 stieg die Kennzahl bis zum Stichtag 30.06. bis auf ca. 54% an:
LTV9M 20/21 = (538,4 + 7) / (68,5 x 14 + 45) = 54,3%
Auch hier müssen wir konsequenterweise die Anzahlungen (45 Mio. EUR), die zum Verkauf gehaltenen Vermögenswerte (3 Mio. EUR) und auch die Leasingverbindlichkeiten (10 Mio. EUR) noch entsprechend berücksichtigen.
Die Gesellschaft liegt also bzgl. des LTV nach wie vor unter dem relevanten Grenzwert in Höhe von 55%. Bei den aktuellen Zinssätzen erscheint es auch sinnvoll zu sein, die Verschuldung soweit wie möglich / vertretbar zu erhöhen.
Fazit
Der Enterprise Value setzt sich zusammen aus dem fairen Wert der vorhandenen operativen Vermögenswerte abzüglich der Nettoverschuldung.
Die Nettoverschuldung ist – wie der Name schon sagt – eine Kenngröße, für deren Berechnung die vorhandene Verschuldung mit den nicht-operativen Vermögenswerten (also im wesentlichen überschüssigen Barmitteln und Investments) verrechnet wird.
Am Beispiel der Deutschen Konsum REIT-AG wird deutlich, dass wir uns im Zweifelsfall genau ansehen sollten, welche Bilanzpositionen für die Berechnung der Nettoverschuldung und auch des Enterprise Value herangezogen werden… und welche nicht.
Leasingverbindlichkeiten und zum Verkauf gehaltene Assets beispielsweise können wir noch bei der Berechnung der Nettoverschuldung berücksichtigen.
Darüber hinaus ist in diesem Beispiel insbesondere die richtige Berücksichtigung der besitztechnisch zum Bilanzstichtag noch nicht übergegangenen Objekte relevant. Entweder machen wir das über den Einbezug der sonstigen langfristigen Vermögenswerte in den EV, oder aber die Nutzung der Pro Forma Mieterträge (also inkl. der bereits bezahlten neuen Objekte).
2 Kommentare zu „Case Study: Portfoliobewertung und Nettoverschuldung Deutsche Konsum REIT“
Hallo Axel
Nur zur Info: bei der Deutschen Konsum REIT stehen in ein paar Jahren eine hohe Anzahl von Wandelschuldverschreibungen zur Umwandlung an. Dadurch gibt es eine deutliche Verwässerung. Dieses ist wahrscheinlich im aktuellen Kurs zumindest Teilweise enthalten.
VG Tom
Hallo Tom,
danke dir… hab den Punkt nochmal als Hinweis ergänzt!
Die Wandelanleihen gibt es ja schon länger, weshalb mir das für den Vergleich zwischen GJ Ende 19/20 und 9M 20/21 erstmal nicht relevant erschien.
VG, Axel