Bisher habe ich drei Beiträge zum Thema Banken und Finanzdienstleister verfasst: Im ersten Artikel habe ich euch das ganz grundlegende Geschäftsmodell einer Bank vorgestellt und bin dabei auch auf die typischen Bestandteile der Financial Statements eingegangen. Darüber hinaus hatte ich euch in zwei weiterten Artikeln einen kurzen Überblick über die typischen Charakteristika einer Bank sowie die relevanten Bewertungsverfahren (inkl. der erforderlichen Bank-spezifischen Anpassungen) gegeben. In diesem Artikel möchte ich nun auf einen konkretes Anwendungsfall des Dividend Discount Modells im Bankenumfeld eingehen.
Ganz konkret geht es um die DDM-Bewertung der US-amerikanischen Bank Wells Fargo. Das Beispiel stammt ursprünglich aus der Feder von Prof. Damodaran (NYU Stern) und nutzt die Finanzdaten der Bank für die Jahre bis 2008 als Basis.
Ich habe diese Fallstudie meinem eigenen InnoBank-Beispiel einmal bewusst vorgezogen, weil Damodaran die Bank hier auf einer relativ hohen Flughöhe und mit ein paar wenigen sehr generischen Annahmen bewertet.
Wells Fargo: Erste “High-Level”-Bewertung mit dem Dividend Discount Modell
Fangen wir mal mit einer sehr oberflächlichen Bewertung an.
Im Jahr 2008 schüttete Wells Fargo eine Dividende von 1,30 USD je Aktie aus. Seit dem Jahr 2001 war die Dividende darüber hinaus im Durchschnitt um 4% pa angestiegen (CAGR).
Unter der Annahme einer weiterhin stabilen Wachstumsrate i.H.v. 4% sowie einem Eigenkapitalkostensatz i.H.v. ca. 9% ergibt sich der Wert des Eigenkapitals je Aktie gemäß der einfachsten Form des Dividend Discount Modells (Gordon Growth Modell) wie folgt:

Das Gordon Growth Modell kommt hier übrigens deshalb zur Anwendung, weil aufgrund der Größe von Wells Fargo bereits damals keine überproportional hohen zukünftigen Wachstumsraten mehr zu erwarten waren.
Da die Aktie zu diesem Zeitpunkt (Anfang 2009) für nur 15,75 USD gehandelt wurde, deutete das Modell auf eine erhebliche Unterbewertung hin.
Allerdings gibt es mehrere Gründe, mit diesem sehr oberflächlichen Bewertungsergebnis etwas vorsichtig umzugehen:
- Zum einen nahm der Gewinn je Aktie aufgrund der sich abzeichnenden Finanzkrise von 4,47 USD im Jahr 2007 auf nur 0,70 USD im Jahr 2008 stark ab, womit die Ausschüttungsquote im Jahr 2008 mit ca. 186% bereits weit oberhalb der magischen 100%-Marke lag. Die Konsensschätzung der Analysten für das Jahr 2009 lag zwar wieder bei etwas optimistischeren 1,34 USD je Aktie. Die oben für das Jahr 2009 prognostizierte Dividende (~1,35 USD je Aktie = 1,30 USD x 1,04) würde damit den erwarteten Nettogewinn allerdings nochmals übersteigen (und könnte daher eine nicht nachhaltige Annahme darstellen)
- Zum anderen spiegelt des starke Dividendenwachstum in den Jahren 2001 bis 2008 eine Phase überdurchschnittlicher Profitabilität wider, in der sich der Nettogewinn von 3,4 Mrd. USD (2001) auf 8,1 Mrd. USD (2007) mehr als verdoppelte. Aufgrund des starken Gewinnrückgangs im Jahr 2008 (runter auf 2,8 Mrd. USD) war deshalb eher eine Kürzung der Dividende zu erwarten (und kein Anstieg, wie in unserem einfachen DDM unterstellt)
Wie wir sehen können: Eine einfache Fortschreibung des historischen Dividendenwachstums ohne Berücksichtigung des aktuellen Umfelds kann zu falschen Schlussfolgerungen führen. Wir müssen unser Dividend Discount Modell also etwas adaptieren bzw. erweitern.
Erweiterung des Gordon Growth Modells: Berücksichtigung der Eigenkapitalrendite
Eine wesentliche Schwäche des ursprünglich verwendeten Gordon Growth Modells besteht darin, dass ein nachhaltiges Dividendenwachstum i.H.v. 4% unterstellt wird, ohne eine mögliche Unvereinbarkeit mit der realistisch erwartbaren Ausschüttungsquote von Wells Fargo zu berücksichtigen.
Basierend auf den 2008er Zahlen betrug die Ausschüttungsquote wie oben bereits angezeigt ca. 186%. Ein nachhaltiges Gewinn- und Dividendenwachstum (ob nun i.H.v. 4% oder irgendeiner anderen Größenordnung) ist auf Basis einer Ausschüttungsquote von mehr als 100% gar nicht möglich.
Schauen wir uns also einmal einen alternativen Weg zur Nutzung des Dividend Discount Modells an: Ausgangspunkt ist zunächst der Buchwert des Eigenkapitals, welches zum Ende des Geschäftsjahres 2008 mit ~99,1 Mrd. USD in den Büchern stand. Basierend auf einer normalisierten Eigenkapitalrendite i.H.v. ~18,9% (ermittelt als Durchschnitt der Jahre 2001 bis 2007) würde sich ein normalisierter Nettogewinn für das Jahr 1 von etwa 18,7 Mrd. USD ergeben:

Und weiterhin: Unter der Annahme, dass der Nettogewinn bei Unterstellung eines konstanten ROE langfristig mit einer konstanten Rate von 3% pa wächst, kann die nachhaltige Ausschüttungsquote zu ca. 84% berechnet werden:

Nochmal als Interpretationshilfe: Bei einer unterstellten EK-Rendite wird die Reinvestition von 15% des erwirtschafteten Gewinns zu einer langfristigen Wachstumsrate des Gewinns i.H.v. 3% führen.
Durchgerechnet mithilfe des Dividend Discount Modells resultiert aus den obigen Annahmen der folgende geschätzte Wert des Eigenkapitals:

Bei einer Anzahl ausstehender Aktien von 3.391 Mio. Stück, ergibt sich aus der Berechnung ein fairer Wert je Aktie i.H.v. ca. 77 USD je Aktie, also substanziell mehr als der zu dem Zeitpunkt aktuelle Aktienkurs (15,75 USD je Aktie).
Nach einer etwas genaueren und vor allem konsistenten Rechnung deutet die Wertermittlung auf Basis des Dividend Discount Modells also nun sogar auf eine noch größere Unterbewertung hin, als die ursprüngliche “High Level Kalkulation”.
Wichtig ist allerdings hierbei nochmal folgendes im Hinterkopf zu haben: Bei der Berechnung haben wir auf Basis der Historie die Erzielung einer nachhaltigen EK-Rendite i.H.v. 18,9% unterstellt. De facto erreicht hat Wells Fargo in 2008 allerdings nur eine Rendite i.H.v. ca. 4,79%.
Bewertung verschiedener Szenarien für ROE und EK-Kosten
Aus diesem Grund führen wir zum Abschluss nochmal eine Sensitivitätsanalyse mit ein paar veränderten Werten für die Eigenkapitalrenditen und die Eigenkapitalkosten durch.
Die grundsätzliche Richtung können wir bereits vorab festlegen: Falls die Eigenkapitalrendite sinkt und / oder die Eigenkapitalkosten steigen, verändert sich der faire Wert der Aktie nach unten. Hier einmal die Sensitivitätsanalyse in Form einer Tabelle (alle grün markierten Zellen führen zu einer Unterbewertung der Wells Fargo-Aktie von mehr als 30%):

Wie ihr sehen könnt, ist die Aktie von Wells Fargo in den meisten Szenarien teilweise substanziell unterbewertet. Nur wenn die Eigenkapitalrendite auf dem im historischen Vergleich sehr niedrigen Niveau des Jahres 2008 verbleibt (sagen wir mal Größenordnung 4-6%), scheint die Aktie tatsächlich überbewertet zu sein.
Lasst mich zur besseren Erläuterung aber nochmal zwei weitere Szenarien herausgreifen.
Das Szenario auf Basis der historischen Eigenkapitalrendite i.H.v. 18,9% kennen wir ja bereits. Bei Annahme von Eigenkapitalkosten i.H.v. 9% führt dieses zu einem fairen Aktienkurs i.H.v. ca. 77 USD je Aktie.
Ein weiteres relevantes Szenario ist eine Situation, in der die Eigenkapitalrendite sich in der Größenordnung der Kapitalkosten einpendelt (z.B. beide ca. 10%). In diesem Fall ergibt sich ein fairer Aktienkurs i.H.v. ~29 USD je Aktie, was genau dem aktuellen Buchwert des Eigenkapitals, nämlich ~99,1 Mrd. USD, entspricht. Das unterstellte zusätzliche Gewinnwachstum i.H.v. 3% pa erzeugt in diesem Szenario also keinen zusätzlichen Shareholder Value, weil im Vergleich zur Historie keine Überrendite mehr erwirtschaftet wird.
Bottom Line
Basierend auf der Analyse erscheint Wells Fargo im optimistischen Szenario (Annahme der historischen EK-Rendite i.H.v. 18,9%) sehr deutlich unterbewertet zu sein (Potenzial ~5x). Auch in etwas konservativeren Szenarien – bis hinunter zu einer EK-Rendite von ~10% – ergibt sich im Vergleich zum damaligen Aktienkurs eine Unterbewertung von mehr als 30%.
Lediglich in den Szenarien, in denen sich die EK-Rendite gar nicht mehr vom niedrigen Niveau in 2008 (~4,8%) erholt, kommen wir auch nur annähernd an das damalige Kursniveau heran. Scheinbar schien der Markt also damals an ein derartig negatives Zukunftsszenario für Wells Fargo geglaubt zu haben (wohlgemerkt zur Hochzeit der Finanzkrise).
Diese Fallstudie zeigt aus meiner Sicht zwei Dinge: (1) Wie wichtig es ist, sich nicht allein auf historische Dividenden, EK-Renditen oder Wachstumsraten zu verlassen und ein in sich geschlossenes und konsistentes Bewertungsmodell zu verwenden… und (2) wie viel Mehrwert wir bereits aus der Nutzung eines sehr einfach gestrickten Bewertungsmodells in Kombination mit ein paar wenigen Realitätschecks und Sensitivitätsanalysen ziehen können.
The business schools reward difficult complex behavior more than simple behavior, but simple behavior is more effective. – Warren Buffett
Weitere Ressourcen
- Geschäftsbericht von Wells Fargo aus dem Jahr 2008 (und hier als Download)