In einem meiner früheren Artikel habe ich die verschiedenen Formen von nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen bzw. Burggräben vorgestellt, zu denen unter anderem auch nachhaltige Kostenvorteile gehören. Diese Kostenvorteile können sowohl durch Prozesskostenvorteile als auch durch so genannte Economies of Scale bzw. Skaleneffekte begründet sein. Das mögliche Zusammenwirken verschiedener Elemente eines Geschäftsmodells zu einem Prozesskostenvorteil lässt sich sehr gut am Beispiel des Computerherstellers Dell illustrieren.
In diesem Artikel möchte ich einmal dem Ursprung der Prozesskostenvorteile von Dell auf den Grund gehen und auch erläutern, aus welchem Grund diese Vorteile so lange aufrecht erhalten werden konnten.
Recap: Verschiedene Arten von Wettbewerbsvorteilen
In der Literatur bzw. im Netz gibt es teilweise leicht unterschiedliche Klassifizierungen von Wettbewerbsvorteilen. Die wesentlichen Bestandteile sind allerdings immer gleich. Ich habe die Wettbewerbsvorteile für mich einmal folgendermaßen klassifiziert:
- Immaterielle Wettbewerbsvorteile (Marke, Patente, Akkreditierungen, etc.)
- Hohe Wechselkosten
- Hohes Nutzen-Kosten-Verhältnis
- Netzwerk-Effekt
- Kostenvorteil (Prozesskosten- und Skalenvorteile)
- Inflationsschutz
Dabei bieten Prozesskostenvorteile den geringsten Schutz vor neuen Wettbewerbern, während auf der anderen Seite Skalenvorteile kombiniert mit einer starken Kundenbindung (resultierend z.B. aus hohen Wechselkosten etc.) den stärksten Schutz bieten.
Nachhaltige Wettbewerbsvorteile spiegeln sich meist in höheren Kapitalrenditen wieder. Je nachhaltiger und stabiler der Wettbewerbsvorteil, desto länger können die Kapitalrenditen außerdem auf dem hohen Niveau verharren:
Quelle: In Anlehnung an Pat Dorsey
Dell’s Wettbewerbsvorteil kann am besten unter der Kategorie Prozesskostenvorteile eingeordnet werden und würde sich tendenziell in der obigen Grafik vermutlich irgendwo in der Mitte befinden.
Dell’s nachhaltige Prozesskostenvorteile
Die Kostenvorteile von Dell lassen sich nicht einfach auf einen bestimmten Faktor reduzieren. Im Grunde genommen geht es hier um das Zusammenspiel aus verschiedenen Faktoren, die in Kombination einen signifikanten und – bis zur Disruption durch Laptops – auch nachhaltigen Wettbewerbsvorteil bedeuteten.
Hier lassen sich im Wesentlichen fünf Themen erkennen:
- Direktverkauf
- Build-to-Order Ansatz
- Informationsaustausch mit Lieferanten
- Outsourcing
- Lokale Produktion
In den folgenden Absätzen gehe ich zunächst mal auf die einzelnen Bestandteile des Geschäftsmodells ein und versuche dann, das Bild zu einem nachhaltigen Prozesskostenvorteil zusammenzufügen.
Direktverkauf und flexibilisierte Massenproduktion
Zunächst mal verfolgte Dell den Ansatz nicht über Groß- und Einzelhändler, sondern nur direkt (über das Internet) zu verkaufen. Darüber hinaus konnte man sich seinen Rechner recht flexibel zusammenstellen, also Festplatte, Grafikkarte, RAM etc. individuell auswählen.
Auf der einen Seite sparte Dell so Kosten ein, auf der anderen Seite waren die Produkte trotzdem relativ genau auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten.
In der damaligen Zeit war es aus meiner Sicht recht anspruchsvoll, sich einen separaten und eigenen Verkaufskanal aufzubauen.
Build-to-Order bzw. Fertigung nach Auftrag
Ein zweiter wesentlicher Punkt der Dell-Strategie war bzw. ist die Auftragsfertigung. Dell fing erst an, die Einzelteile per Just-in-Time (JIT) zu ordern und die Computer zu produzieren, wenn eine verbindliche Bestellung dafür vorlag.
Dies hatte im wesentlichen drei Effekte:
- Da die Kunden in der Regel die Computer direkt bei Bestellung auch bezahlten, brauchte Dell die Kosten für Teile und Produktion nicht selbst vorfinanzieren
- Durch die niedrigen Lagerbestände war darüber hinaus sehr wenig Kapital im Prozess gebunden. Dies war auch unter Berücksichtigung der Tatsache sehr positiv, dass die Lagerbestände für einzelne Komponenten teilweise wöchentlich ca. 1% an Wert verloren
- Die gut verhandelten Zahlungsziele mit den Lieferanten führten insgesamt zu einem stark negativen Cash Conversion Cycle
Das heißt im Grunde genommen funktionierte das Geschäftsmodell von Dell praktisch ohne eigenes Working Capital. Zwischen dem Geldeingang bei Dell und der Bezahlung der Lieferanten lagen tatsächlich mehrere Wochen.
Informationsnetzwerk mit Lieferanten
All dies wäre natürlich nicht möglich gewesen ohne eine sehr gut funktionierende Lieferkette und eine sehr enge Integration mit den Lieferanten.
So hatten Dell’s ca. 200 Lieferanten dann auch Zugang zu Echtzeitinformationen über Nachfragetrends und Schätzungen über die erwarteten Stückzahlen einzelner Komponenten.
Diese enge Beziehung zu den Lieferanten erlaubte es Dell, die Nachfrage und das Angebot der einzelnen Teile recht gut und genau zu managen.
Der Aufbau eines solchen Systems ist nach meiner Einschätzung für die meisten Unternehmen eine Aufgabe, die mehrere Jahre in Anspruch nimmt.
Outsourcing
Natürlich wird aus den oberen Punkten bereits klar, dass Dell einen Großteil der Komponenten für seine Computer nicht selbst produzierte.
Ich denke aber, dass dieser Umstand auch nochmal separate Erwähnung finden sollte.
If you’ve got a race with 20 players all vying to make the fastest graphics chip in the world, do you want to be the twenty-first horse, or do you want to evaluate the field of 20 and pick the best one? – Michael Dell
Das Outsourcing erlaubte es Dell, sich auf seine Kernkompetenzen zu fokussieren, nämlich i.W. das Managen der Lieferkette (Supply Chain), Kundenservice, Forschung und Entwicklung etc.
Outsourcing wird in der Regel aber als leicht kopierbar eingestuft und bietet deshalb für sich genommen keinen besonderen Wettbewerbsvorteil.
Lokale Produktion
Dell bzw. seine Lieferanten bauten die Computer und Komponenten u.a. in Brasilien, China, Indien, Irland, Polen und Malaysia.
Aufgrund der größtenteils recht niedrigen Personalkosten und gleichzeitig aber produktiven Arbeitskräfte hatte Dell einen Kostenvorteil. In vielen Ländern kam darüber hinaus auch ein Steuervorteil hinzu, den Dell mit den jeweiligen Ländern ausgehandelt hatte (Beispiel Malaysia).
Neben niedrigeren Kosten ist natürlich die Nähe zu den großen Kundenmärkten ein gewichtiger Vorteil. Der Marktzugang, die Transportkosten, aber vor allem auch die Lieferzeiten wurden durch diesen Ansatz stark verbessert.
Die Puzzleteile zusammensetzen
Alle oben genannten Bestandteile des Geschäftsmodells führten dazu, dass Dell für die erste Hälfte der 2000er einen immensen Prozesskostenvorteil besaß.
Aber wie wir gelernt haben: Der Prozesskostenvorteil ist grundsätzlich ein relativ schwach ausgeprägter Wettbewerbsvorteil und in vielen Fällen erstmal replizierbar. Ich denke das wird auch aus den einzelnen, oben beschriebenen Bestandteilen des Geschäftsmodells ersichtlich.
Wobei wir schon etwas differenzieren müssen:
- Direktverkauf: Für einen etablierten Wettbewerber damals – ohne großen Wettbewerb durch Onlinehändler – vermutlich eine Frage des Marketings (bzw. des Geldes)
- Build-to-Order Ansatz: Hängt stark mit der Optimierung der Lieferkette zusammen. Wenn die nicht effizient funktioniert, würde das zu langen Lieferzeiten und unzufriedenen Kunden führen
- Informationsaustausch mit Lieferanten: Kann implementiert werden, dauert aber aus meiner Erfahrung mehrere Jahre
- Outsourcing: Leicht kopierbar, allerdings benötigt es vermutlich mehrere Anläufe und Iterationen, um herauszufinden, was idealerweise outgesourct und was selbst gemacht werden sollte
- Lokale Produktion: Möglich, aber benötigt Zeit (und ggf. Geld), um reibungslos und auf dem richtigen Qualitätsniveau zu funktionieren
Jede einzelne Maßnahme hätte im Grunde genommen auch ein Wettbewerber nach einiger Zeit übernehmen können. Auch die gesamte Strategie zu kopieren (inklusive aller Bestandteile, also Outsourcing, Lieferantenintegration, Eigenvermarktung etc.), wäre dem entsprechend nicht unmöglich.
Warum war aber erstmal kein Wettbewerber dazu in der Lage? Ich glaube das lag vor allem an der Komplexität des Gesamtkonstrukts und dem Zusammenspiel der einzelnen Bestandteile (kein Build-to-Order ohne die Lieferkette, keine effiziente Direktvermarktung ohne lokale Produktion etc.).
Ggf. haben Wettbewerber versucht, einzelne Bestandteile zu kopieren. Und vielleicht waren sie damit auch mehr oder weniger erfolgreich. In vielen Fällen revidieren Unternehmen aber auch Entscheidungen, wenn die positiven Effekte nicht schnell genug sichtbar werden.
Warum Dell seinen Vorteil über Zeit doch eingebüßt hat
Wie in vielen anderen Fällen auch (siehe Nokia oder Kodak), waren es nicht die Wettbewerber, die das Geschäftsmodell replizierten und Dell auf einmal in seinem angestammten Terrain Konkurrenz machten, sondern ein Alternativprodukt, das anders funktionierte als bisher der Desktop-PC.
Die Rede ist – klar – vom Laptop. Nicht nur, dass Dell zunächst keine Laptops im Angebot hatte. Der sich neu entwickelnde Markt war auch nicht wirklich mit Dell’s bisherigem Geschäftsmodell kompatibel.
Zum einen wollten die Kunden die Rechner nicht mehr ungesehen bestellen. Design und Handhabbarkeit (Gewicht, Auf- und Zuklappmechanismus etc.) waren auf einmal wichtig. Zusätzlich waren (und sind immernoch) Laptops nicht wirklich auf Kundenwunsch zusammenstellbar. Das heißt Grafikkarte, RAM etc. konnten in der Regel bei Laptops nicht einfach ausgetauscht werden.
Darüber hinaus begannen Wettbewerber im Zuge des Neuaufbaus der Laptop-Produktion gewisse Teile von Dell’s Geschäftsmodell sozusagen auf der grünen Wiese zu kopieren und wurden dadurch auch um Einiges effizienter.
Fazit
Es gibt verschiedene Arten von Geschäftsmodellbestandteilen, die zu einem nachhaltigen Wettbewerbsvorteil führen können. Kostenvorteile durch effizientere Prozesse (Prozesskostenvorteile) sind einer dieser Bestandteile.
Grundsätzlich können wir Prozesskostenvorteile – im Gegensatz zu Skaleneffekten und/oder einer starken Kundenbindung – als recht schwache Form des Wettbewerbsvorteils ansehen.
Das Beispiel Dell zeigt aber, dass auch Prozesskostenvorteile in der richtigen Kombination einen sehr stabilen Wettbewerbsvorteil darstellen können.
Wie auch in vielen anderen Industrien zuvor und auch danach, war es die Neuentwicklung eines Substituts für den Desktop-PC, nämlich das Laptop, welches auf einmal dazu führte, dass das Geschäftsmodell von Dell in der bisherigen Form nicht mehr funktionierte.
Neben der Analyse des Wettbewerbsvorteils und dessen Ursprungs ist es also auch wichtig, potenzielle Substitute bzw. Alternativprodukte auf dem Schirm zu haben.