Wir alle wissen um die Nachteile und Limitationen des KGV und des Nettogewinns als wesentliche Inputgröße für die Identifikation attraktiver und werthaltiger Investments und deren Bewertung. Genau auf dieses Thema geht Warren Buffett im Appendix des Berkshire Hathaway Shareholder Letters von 1986 genauer ein. Er beschreibt dort ein Konzept, dass er Owner Earnings nennt und erläutert genau, warum er die Owner Earnings für viel aussagekräftiger hält, als den Nettogewinn.
In diesem Artikel möchte ich einmal das Konzept der Owner Earnings etwas detaillierter vorstellen und außerdem darauf eingehen, warum wir den Nettogewinn (und deshalb auch das KGV) und auch den Free Cash Flow tendenziell eher nicht als Bewertungsgrundlage heranziehen sollten.
Was du in diesem Artikel lernst
- Warum der Nettogewinn kein guter Indikator für den Unternehmenswert ist
- Wie Warren Buffett Owner Earnings definiert
- Warum Owner Earnings den tatsächlichen Ertrag besser widerspiegeln als der Nettogewinn
- Wodurch sich Owner Earnings vom freien Cash Flow unterscheiden
Warum der Nettogewinn kein guter Wert-Indikator ist
Bevor wir in die Diskussion einsteigen können, warum Owner Earnings dem Nettogewinn als Grundlage für die Bewertung eines Unternehmens überlegen sind (das auf dem Nettogewinn basierende KGV ist ja nichts anderes als eine Bewertungskennzahl), erläutere ich zunächst einmal, warum der Nettogewinn keinen wirklich guten Wert-Indikator darstellt.
Am besten geht dies anhand des Beispiels, welches Warren Buffett selbst im Shareholder Letter vorgestellt hat. Ist vielleicht an der einen oder anderen Stelle etwas detailliert, ich denke aber, dass die wesentliche Aussage dadurch recht klar wird.
Gleiches Unternehmen, unterschiedliche GuVs
Wir sehen in der Abbildung unten zwei Gewinn- und Verlustrechnungen (GuV). Obwohl beide Rechnungen stark unterschiedliche Nettogewinne ausweisen, handelt es sich hierbei um das gleiche Unternehmen. Also wirklich identisch: gleiche Umsätze, Löhne, Steuern etc. Die GuVs unterscheiden sich nur an den rot umrandeten Stellen.
Quelle: Aus dem Berkshire Hathaway Shareholder Letter 1986, Werte in Tsd. USD
Diese Unterschiede kommen aus rein buchhalterischen Effekten und hängen mit dem Kauf des Unternehmens durch Berkshire Hathaway (BRK.A) zusammen. Berkshire zahlte für das Unternehmen einen Kaufpreis, der über dem ausgewiesenen Eigenkapital des Unternehmens lag.
Genauer gesagt zahlte Berkshire 315 Mio. USD für das Unternehmen. Gleichzeitig betrug das Nettovermögen (gleich Eigenkapital) der Firma allerdings “nur” 172 Mio. USD. Berkshire zahlte also ein Premium von 143 Mio. USD.
Unternehmensverkauf erfordert Anpassungen der Bilanz
Diese 143 Mio. USD mussten direkt nach der Übernahme zunächst einmal bilanziell irgendwo zugeordnet werden. Die Anpassung geschieht typischerweise in 2 Schritten:
- In einem ersten Schritt werden zunächst mal alle Vermögenswerte von ihrem Buchwert auf den fairen Wert (den Marktwert) erhöht. Dies umfasst eine Anpassung des Umlaufvermögens (vor allem der Lagerbestände), des Anlagevermögens, der immateriellen Vermögenswerte (ohne Goodwill) und der Schulden.
- In einem zweiten Schritt wird dann ein ggf. über den fairen Wert der Assets hinaus gezahltes Premium als Goodwill verbucht – Goodwill ist ja definiert als die Differenz zwischen Kaufpreis und fairem Wert der Vermögensgegenstände.
In diesem konkreten Fall wurden zunächst mal die kurzfristigen Vermögenswerte (vor allem Lagerbestände) vom Buchwert auf den Marktwert angepasst. Aufgrund u.a. einer LIFO Reserve lag der Buchwert in Buffett’s Beispiel um ca. 37 Mio. USD unter dem Marktwert.
Als nächstes waren die langfristigen Vermögenswerte (Sachanlagen) dran. In diesem Fall wurde das Anlagevermögen um 68 Mio. USD erhöht. Gleichzeitig wurden 13 Mio. USD an latenten Steuerverpflichtungen eliminiert.
Schlussendlich erfolgte eine Zuordnung der restlichen ca. 25 Mio. USD zum Goodwill.
Die Bilanzen vor und nach dem Kauf sahen dann wie folgt aus:
Quelle: Aus dem Berkshire Hathaway Shareholder Letter 1986, Werte in Tsd. USD
Wie ihr sehen könnt, führen die Anpassungen zu einem Eigenkapital genau in Höhe des Kaufpreises, also 315 Mio. USD.
Überführung der neuen Bilanz in eine neue GuV
Was haben diese Anpassungen aber nun für Auswirkungen auf die Gewinn- und Verlustrechnung? Auch diese Frage lässt sich recht leicht beantworten.
Vereinfacht gesprochen resultieren die höheren Bilanzwerte in niedrigeren Gewinnen in der GuV. Einige Vermögenswerte wurden signifikant im Wert nach oben berichtigt, was natürlich in der GuV zu höheren Abschreibungen bzw. Amortisationen führt. Und je höher der Wert bzw. die Zuschreibung des Vermögensgegenstands, desto höher die entsprechende Abschreibung (wenn wir gleichzeitig unterstellen, dass sich die Nutzungsdauer der Assets nicht verändert).
Hier die Anpassungen im konkreten Beispiel:
- ~5,0 Mio. USD Einmaleffekt für die Wertberichtigung der Lagerbestände.
- 5,0 Mio. USD für zusätzliche Abschreibungen resultierend aus der Zuschreibung auf den Wert der Sachanlagen. Diese Anpassung wird in der “neuen” GuV auch in den nächsten 10-12 Jahren ungefähr in der gleichen Größenordnung auftauchen (je nachdem, wie lang der durchschnittliche Abschreibungszeitraum ist).
- 595.000 USD für die Amortisation des Goodwill. In der Vergangenheit konnte Goodwill über einen Zeitraum von 40 Jahren amortisiert werden. Der Effekt auf den Gewinn war also quasi-permanent. Heute wird Goodwill nicht mehr regulär amortisiert, sondern nur noch regelmäßig hinsichtlich einer erforderlichen Wertminderung getestet (Impairment Test). Heute würde sich also eine Erhöhung des Goodwill erstmal nicht in der GuV niederschlagen. 1986 war das noch so.
- 998,000 an Anpassungen für latente Steuern. Buffett geht nicht im Detail auf diesen Punkt ein. Die Anpassung wird aber für die nächsten 12 Jahre in der GuV auftauchen.
Auch wenn sich die zwei Bilanzen direkt nach dem Kauf stark unterscheiden, so würden sie doch aufgrund der erhöhten Abschreibungen in der “neuen” Struktur über die Jahre konvergieren. Kleine Unterschiede würden wegen der Anpassung der Lagerbestände aber permanent bestehen bleiben.
Keine der Änderungen hat übrigens irgendeinen Einfluss auf die Steuerlast der Firma. Das heißt das Unternehmen zahlt nach wie vor genau die gleichen Steuern, auch wenn der Nettogewinn sich stark unterscheidet.
Wie Warren Buffett Owner Earnings definiert
Wie wir gesehen haben, kann ein und dasselbe Unternehmen signifikant unterschiedliche Gewinne veröffentlichen, je nach dem, wie die Historie aussieht bzw. das Accounting funktioniert.
Das führt uns zu der wichtigen Frage: Welche der zwei Gewinn- und Verlustrechnungen ist näher an der Wahrheit? Welchen Gewinn sollten Investoren für die Bewertung nutzen? Wenn wir z.B. das KGV für unsere Bewertung nutzen, dann macht das einen großen Unterschied, ob wir mit 40 oder 29 Mio. USD Gewinn rechnen.
Hier kommen nun Warren Buffett’s Owner Earnings ins Spiel. Im Berkshire Aktionärsbrief definiert Buffett die Owner Earnings wie folgt:
Owner Earnings = Nettogewinn + Abschreibungen, Amortisation und andere Non-Cash Positionen – durchschnittliche Investitionen +/- zusätzlich erforderliches Working Capital
Investitionen sind nach Buffett’s Definition alle Investitionen in Sachanlagen, die zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit und des Produktionsvolumens erforderlich sind (alternativ auch Erhaltungsinvestitionen bzw. Maintenance CapEx genannt). Wenn ein Unternehmen zusätzliches Working Capital (gleich Umlaufvermögen minus kurzfristige Verbindlichkeiten) benötigt, um seine Wettbewerbsposition und das Produktionsvolumen konstant zu halten, dann sollte auch dieser Betrag in der Kalkulation der Owner Earnings berücksichtigt werden (dies sollte aber in der Regel nicht der Fall sein, speziell wenn das Unternehmen eine größere LIFO Reserve hat).
Die Kalkulation der Owner Earnings am konkreten Beispiel: Klick hier!
Warum die Kalkulation der Owner Earnings Sinn macht
Um nun zu verstehen, warum Buffett die Owner Earnings dem Nettogewinn (und auch dem Free Cash Flow) als Bewertungsgrundlage vorzieht, macht es Sinn, das Ganze einmal schrittweise zu betrachten.
Im Grunde genommen werden mit dem Ansatz über die Owner Earnings erstens die oben beschriebenen Unterschiede resultierend aus Unterschieden im Accounting eliminiert und zweitens realistischere – allerdings von GAAP oder IFRS unabhängige – Ansätze für Investitionen und Working Capital Bedarfe genutzt.
In einem dritten Schritt werden dann ggf. noch Anpassungen vorgenommen für den Fall, dass Teile des Cash Flows tatsächlich nicht den Eigentümern zugerechnet werden können (z.B. Pensionsrückstellungen oder Aktienoptionen für das Management).
1. Unterschiede durch Buchhaltungsregeln eliminieren
In einer Welt ohne Buchhaltungsregeln, in der wir die Gewinne nur auf Basis der tatsächlichen Geldflüsse berechnen würden, wären Gewinn und Cash Flow identisch (Abschreibungen würde es in so einem Szenario z.B. nicht geben). Buchhaltungsregeln sind ja vereinfacht gesprochen “nur” dazu da, um die Geldflüsse etwas sachgerechter auf die verschiedenen Perioden (also Geschäftsjahre) zuzuschlüsseln.
Wenn also diese Buchhaltungsregeln zu solch massiven Abweichungen bei den Gewinnen führen können wie in Warren Buffett’s Beispiel beschrieben, dann sollten wir idealerweise direkt auf die Cash Flows schauen. Diese sollten ja unabhängig von den genutzten Accounting-Methoden und -Tricks zum gleichen Ergebnis für beide Unternehmen führen.
Zum freien Cash Flow gelangen wir, indem wir vom Nettogewinn ausgehend zunächst mal alle nicht zahlungswirksamen Bestandteile (Non-Cash Items) hinzuaddieren. Dies betrifft natürlich vor allem erstmal Abschreibungen und Amortisation, aber auch ein paar andere Aufwendungen. Anschließend müssen wir noch die tatsächlichen Investitionen (Capital Expenditures bzw. CapEx) sowie etwaige Änderungen im Working Capital wieder abziehen.
Nur zur Info: Effekte aus unterschiedlichen Kapitalstrukturen lasse ich der Einfachheit halber erstmal unberücksichtigt. Diese haben aber natürlich, sofern vorhanden, auch einen Einfluss und können in der Cash Flow Betrachtung berücksichtigt werden (siehe den DIY Investor Artikel zu Joel Greenblatt’s Börsen Zauberformel).
Der freie Cash Flow ist einer der am weitesten verbreiteten Ansätze zur Unternehmensbewertung. Allerdings werden zur Berechnung des Free Cash Flow ALLE nicht zahlungswirksamen Aufwendungen wieder hinzugerechnet sowie rein mechanisch die Investitionen des aktuellen Jahres abgezogen.
2. Realistische Annahmen für Investitionen und Working Capital wählen
Die Investitionen können nun je nach Jahr stark schwanken – wenn ein Stahlwerk zum Beispiel einen Hochofen neu zustellen muss, dann ist das ziemlich teuer, passiert aber in der Regel nur alle 15 Jahre. Deshalb schlägt Buffett vor, mit einem durchschnittlichen jährlichen Investitionsbedarf zu rechnen.
In vielen Fällen sind die durchschnittlichen Investitionen den Abschreibungen sehr ähnlich, in anderen Fällen aber wiederum nicht. Oft müssen Unternehmen z.B. über Zeit mehr als den aktuellen Abschreibungssatz investieren, um ihre Wettbewerbsposition zu verteidigen. Buffett nennt hier als Beispiel die Öl&Gas Industrie, die nach seiner Aussage immer weiter geschrumpft wäre, hätte sie immer nur jeweils die entsprechende Abschreibung reinvestiert. Hier den richtigen durchschnittlichen Investitionsbedarf zu ermitteln ist nicht ganz einfach, hat aber oft einen signifikanten Einfluss auf die Owner Earnings.
Aus den oben genannten Gründen sind die Owner Earnings auch kein mechanisch aus dem GAAP- oder IFRS-Ergebnis abgeleiteter Kennwert, weil speziell die durchschnittlich erforderlichen Investitionen auf einer Abschätzung unsererseits basieren müssen.
Für Warren Buffett sind die Owner Earnings trotzdem die relevantere und richtigere Grundlage für eine Unternehmensbewertung. Deshalb zitiert er im Shareholder Letter dann auch nochmal John Maynard Keynes, der einmal inhaltsgemäß gesagt hat: “Es ist besser grob richtig zu liegen, als exakt falsch”.
I would rather be vaguely right than precisely wrong. – Keynes
3. Non-Cash Items richtig berücksichtigen
Neben den Investitionen und der Änderung des Working Capitals werden in einer Cash Flow Betrachtung außerdem alle nicht zahlungswirksamen Aufwendungen wieder zum Nettogewinn hinzuaddiert. Dazu zählen auch diejenigen Aufwendungen, die nicht den Eigentümern des Unternehmens zu Gute kommen und deshalb aus einer Owner Earnings-Sicht nicht wieder hinzuaddiert werden sollten.
Dazu gehören wie oben angesprochen u.a. Aufwendungen für Aktien-basierte Vergütung von Managern oder Aufwendungen für Pensionsverpflichtungen. Diese sollten für die Berechnung der Owner Earnings einfach nach wie vor im Nettogewinn belassen werden.
Und noch einmal einer der wichtigsten Punkte: Die Owner Earnings sollten unabhängig von den weiter oben beschriebenen buchhalterischen Einflüssen sein. Für die Unternehmen A und B aus dem Beispiel sollten wir identische Owner Earnings erhalten, weil die Summe aus Nettogewinn und Abschreibungen, Amortisation etc. immer den gleichen Wert liefert und Investitionen in beiden Fällen gleich behandelt werden sollten.
Fazit
Wir wir gesehen haben, ist der Nettogewinn aufgrund zahlreicher Einflüsse durch die Accounting-Ansätze keine besonders gute Grundlage für eine Unternehmensbewertung.
Die Elimination der Buchhaltungsregeln führt uns zunächst zum freien Cash Flow. Allerdings sind die jeweiligen, in den Einzeljahren auftauchenden Investitionen oft nicht repräsentativ für die zukünftige Entwicklung.
Das Konzept der Owner Earnings basiert nun darauf, den Free Cash Flow so anzupassen, dass die Berechnung mit langfristigen Durchschnitten für die Investitionen und die Working Capital Bedarfe funktioniert und nicht den Shareholdern zuzuordnende Bestandteile unberücksichtigt bleiben.
Von der Logik her finde ich dieses Konzept sehr einleuchtend und gut nachvollziehbar. Daher sind die richtige Bestimmung der Owner Earnings und die anschließende Übersetzung in einen intrinsischen Wert mithilfe der ewigen Rente für mich auch die wichtigsten Aufgaben im Rahmen einer Aktienanalyse.