In den ersten zwei Teilen der Fallstudie zur Noble Group hatte ich mich mit zwei ganz typischen Herangehensweisen zur Manipulation der Unternehmensgewinne beschäftigt… erstens der regelmäßigen Hochschreibung der beizulegenden Zeitwerte bzw. Fair Values bestimmter Vermögenswerte nach IFRS (in diesem Fall der langfristigen Lieferverträge mit verschiedenen Abnehmern der Noble-Produkte) sowie zweitens der kreativen Klassifizierung wertloser Beteiligungen als assoziierte Unternehmen, um Sonderabschreibungen zu vermeiden.
Insbesondere das Mark-to-Market Accounting (MTM) spielt auch für das Thema dieses Artikels eine nicht ganz unwesentliche Rolle. Hier und heute möchte ich mich nämlich einmal mit dem Working Capital der Noble Group und insbesondere den damit im Zusammenhang stehenden Rückkaufvereinbarungen (Repurchase Agreements bzw. Repos) für bestimmte Lagerbestände beschäftigen.
Recap: Mark-to-Market Accounting und Working Capital
Typischerweise besteht das Net Working Capital (NWC) zum Großteil aus drei Komponenten: aus Forderungen (Receivables) und Lagerbeständen auf der Aktivseite (beide positiv bzw. binden Cash) sowie aus Lieferantenverbindlichkeiten (Payables) auf der Passivseite (negativ bzw. setzt Cash frei).
Dazu kommen in der Regel noch andere positiv wie negativ wirkende Abgrenzungsposten wie bereits erhaltene Vorauszahlungen, noch zu zahlende Gehälter, Mieten oder Stromrechnungen für den abgelaufenen Monat bzw. das abgelaufene Geschäftsjahr.
Wie ihr der folgenden Abbildung entnehmen könnt, hatte auch die Noble Group diese “gewöhnlichen” Working Capital Positionen auf ihrer Bilanz:
Zusammensetzung des Working Capital der Noble Group 2015 [Mrd. USD]; Quelle: Geschäftsbericht Noble Group 2016
Wie ihr allerdings außerdem sehen könnt, wurden auch die im ersten Teil der Noble-Fallstudie behandelten Fair Value Gains und Losses als Teil des Working Capital klassifiziert (obwohl es sich ja erwiesenermaßen größtenteils langfristige Abnahmeverträge handelte).
Veränderungen des Working Capital bei der Noble Group
Kommen wir aber mal zum eigentlichen Punkt: Wenn wir uns nun einmal die Veränderungen der Working Capital (inkl. der oben genannten Fair Value Gains und Losses) über die Zeit ansehen, dann ergibt sich das folgende Bild:
Veränderungen des Working Capital (Cash Flow Effekt) der Noble Group [Mrd. USD], Quelle: Iceberg Research, Geschäftsberichte
Während die Fair Value Gains aufgrund der Hochschreibungen immer weiter zunahmen (also in einer negativen Abweichung des Cash Flows vom Gewinn resultierten – deshalb hier negativ bzw. rot dargestellt), nahm das “gewöhnliche” Working Capital immer weiter ab und setzte damit Cash frei.
Eine solche Optimierung des Working Capital über die Zeit wäre an sich erstmal nicht ungewöhnlich. Wenn man sich allerdings die Veränderung des Umsatzes und der Lagerbestände über die Zeit und im Resultat auch die Veränderung der Lagerreichweite (DIO – Days of Inventory Outstanding) ansieht, dann kann man eine schon recht auffällige Veränderung im Jahr 2011 ausmachen:
Entwicklung Umsatz, Lagerbestand und DIO der Noble Group, Quelle: Geschäftsberichte bzw. macrotrends.net
Wie man sehen kann, nahm die Lagerreichweite von 2010 auf 2011 um fast die Hälfte, nämlich von ca. 26 Tagen auf ca. 12 Tage, ab. Das heißt im Grunde genommen nichts anderes, als dass Noble für das Erzielen eines weitaus höheren Umsatzes (dieser wuchs wie man sehen kann um fast 50%) auf einmal nur noch 70-80% der vorherigen Lagerbestände vorhalten musste.
Natürlich gab es auch ein paar mögliche und (jedenfalls teilweise) nachvollziehbare Erklärungen für diese Veränderung, z.B.:
- Die Rohstoffpreise könnten stark abgenommen haben, was zu einer Abnahme des Wertes der Lagerbestände geführt hätte (jedenfalls bei einem Accounting nach der FIFO-Methode, bei der die früher und teurer eingekauften Materialien das Lager zuerst verlassen). Gleichzeitig könnte Noble auf der Umsatzseite die Preise irgendwie abgesichert haben
- Durch verschiedene Beteiligungen oder exotische Quellen könnte Noble seine Rohstoffe viel günstiger eingekauft haben, als noch im Jahr zuvor (Glencore bzw. das Vorgängerunternehmen Marc Rich & Co hatte z.B. für eine lange Zeit – aufgrund der Sanktionen illegal – mutmaßlich sehr günstig eingekauftes Rohöl aus dem Iran auf die Weltmärkte gebracht)
- Der Anteil an Streckengeschäften (also Geschäften, bei denen Noble im Grunde nur der Vermittler war und wo die Bestände gar nicht über die eigenen Bücher liefen) am Umsatz könnte stark angestiegen sein
- Der Anteil an Commodities ohne Lagerbestand (z.B. Strom) am Portfolio und damit am Umsatz könnte stark angestiegen sein
- Es könnte eine echte Verbesserung des Bestandsniveaus auf das Level der Wettbewerber stattgefunden haben
- etc.
Alles in allem sprach die Größenordnung der Veränderung aber gegen den Erklärungsansatz über eine Vielzahl an voneinander unabhängigen und teilweise externen Effekten, die zufälligerweise alle in die gleiche Richtung wirkten… vor allem auch, weil sich die Lagerreichweite in den Folgejahren ja noch weiter nach unten bewegte, es also keinen Rebound-Effekt gab.
Womit wir beim Thema Rückkaufvereinbarungen bzw. Repurchase Agreements (oder kurz auch Repos) wären.
Kleine Randnotiz, bevor es weitergeht: Diese individuellen Working Capital Veränderungen waren übrigens nicht einfach aus der Kapitalflussrechnung ablesbar, da Noble alle Working Capital Veränderungen (inklusive der Fair Value Gains und Losses) in einer einzigen Zeile genannt “Increase / Decrease in Working Capital” zusammengefasst hatte. Man musste also die Veränderungen der relevanten kurzfristigen Bilanzpositionen einzeln analysieren, um die Effekte herauszuarbeiten.
Rückkaufvereinbarung (Repos) für Teile des Lagerbestands
Der Begriff Repo bezieht sich auf eine geschäftliche Vereinbarung, bei der ein Händler vorübergehend einen Teil seiner Vorräte an eine zweite Partei, meistens eine Bank, verkauft. Vorübergehend deshalb, weil mit dem Verkauf das Versprechen einhergeht, die Vorräte zu einem zukünftigen Zeitpunkt – und zu einem festgelegten Preis (Stichwort Verzinsung) – wieder zurückzukaufen.
Im Rahmen einer solchen Rückkaufvereinbarung kann der verkaufende Händler also seine Vorräte finanzieren (Zinsaufwand inklusive), ohne die Verbindlichkeit oder den Vermögenswert selbst auf der Bilanz ausweisen zu müssen. In der Regel gelten die Repos dem entsprechend meist über den jeweiligen Bilanzstichtag hinweg, d.h. jeweils vor Quartalsende werden die Bestände verkauft, nach Quartalsende wieder zurückgekauft.
Im Geschäftsbericht der Noble Group wurden Repos passenderweise zum ersten Mal in 2011 diskret angedeutet… im selben Jahr also, in dem sich die Lagerreichweite auf magische Weise mehr als halbierte.
Anstatt als kurzfristige Finanzierung wurden die Transaktionen in den Zahlen quasi wie gewöhnliche Käufe und Verkäufe behandelt. Noble behauptete zwar damals in einem Analystencall auf Nachfrage, dass es sich bei den Vereinbarungen nicht um Repos im eigentlichen Sinne handelte, da das Unternehmen ja nur die Option, nicht aber die Verpflichtung hätte, die Bestände zurückzukaufen.
Mindestens unter den Short Sellern gab es aber große Zweifel ob dieser Erklärung. Es wurde damals vermutet, dass die dargestellte Optionalität nur auf dem Papier existierte und die Bestände in der Praxis immer wieder zurückgekauft wurden. Und zwar aus den folgenden Gründen:
- Im betrachteten Zeitraum (2010 bis ca. 2015) war der Zinsaufwand der Noble Group im Vergleich zur ausgewiesenen Verschuldung konsistent zu hoch (der durchschnittliche Zinssatz lag ca. 1,5 bis 3,0% oberhalb des Niveaus der Wettbewerber mit vergleichbarem Kreditrating). Dies deutete darauf hin, dass die verkauften Bestände immer wieder auf die Bilanz von Noble zurückkehrten bzw. die Repos immer wieder prolongiert wurden und dafür regelmäßig Zinsen anfielen
- Die Banken wollen in der Regel nicht mit Unmengen an Rohstoffen konfrontiert werden, die sie selbst am Markt liquidieren müssen. Die Liquidierung der Rohstoffe stellt deshalb für sie eher ein Worst-Case-Szenario und kein “Business as Usual” dar (genauso übrigens, wie es für einen Immobilienfinanzierer in der Regel nicht Teil des Geschäftsmodells ist, Immobilien per Zwangsversteigerung selbst wieder in Cash umzuwandeln)
Ergo sollten wir Repos nicht ausschließlich deshalb kritisch hinterfragen, weil sie das Working Capital zum Quartalsende künstlich verringern. Das eigentliche Problem besteht vor allem darin, dass die Nutzung von Repos den operativen Cashflow (OCF oder auch CFO) – typischerweise der am schwierigsten zu manipulierende Teil des Jahresabschlusses – verzerrt, indem eine künstliche Liquiditätsquelle geschaffen wird.
Die Noble Group hatte insbesondere das Problem, dass das Working Capital durch die Nutzung des Mark-to-Market Accounting über die Zeit stark anwuchs und so die Cash Conversion immer schlechter wurde (der ausgewiesene Gewinn sich also immer weniger in echte Cash-Zuflüsse übersetzen ließ).
Dies konnte das Unternehmen mithilfe der Rückkaufvereinbarungen – jedenfalls für einen gewissen Zeitraum – noch teilweise kompensieren… oder besser kaschieren.
Repos: Key Take Aways
Im Rahmen von so genannten Rückkaufvereinbarungen oder Repos verkauft ein Unternehmen einen Teil seiner Lagerbestände für einen bestimmten Zeitraum an eine Bank und verpflichtet sich gleichzeitig dazu, diese Lagerbestände zu einem späteren Zeitpunkt (und zu einem festgelegten Preis) wieder zurückzukaufen. Über die Laufzeit der Vereinbarung fallen typischerweise Finanzierungskosten an, die den Zinsaufwand in der GuV erhöhen.
Darüber hinaus gibt es allerdings noch zwei weitere, viel wesentlichere Effekte auf die Financials:
- Die Lagerbestände bzw. das Working Capital wirken optimiert und es kommt zunächst zu einem einmaligen positiven Cash Effekt
- Werden die Repos immer wieder prolongiert (bzw. ggf. parallel zum erzielten Umsatzwachstum sogar ausgeweitet) und der Vorratsbestand damit künstlich niedrig gehalten, erscheint die Cash Conversion nachhaltig besser bzw. der operative Cash Flow höher zu sein
Die Noble Group nutzte diese Vereinbarungen mutmaßlich seit 2011 dazu, um den operativen Cash Flow jeweils zum Quartalsende zu pushen und die negativen Effekte des MTM auf die Cash Conversion abzumildern. Dafür zahlte das Unternehmen einen überdurchschnittlich hohen Zinssatz an die abnehmenden Banken… sehr zum Schaden der Anteilseigner.