Ertragsteuern verstehen

Bilanzanalyse: Ertragsteuern im Detail verstehen

Ertragsteuern verstehen

Inhalt

Ertragsteuern verstehen

Wenn wir uns einmal den Jahresabschluss eines beliebigen Unternehmens ansehen, dann wird uns schnell auffallen, dass Ertragsteuern nicht nur in der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) eine Rolle spielen. Auch in Bilanz und Kapitalflussrechnung finden wir unter Umständen einzelne Positionen, die mit den Ertragsteuern in Zusammenhang stehen bzw. von diesen beeinflusst werden.

In diesem Artikel möchte ich deshalb einmal auf die verschiedenen Aspekte der Ertragssteuern eingehen und die wesentlichen Zusammenhänge im Detail darstellen.


Ertragsteuern im Jahresabschluss: Begrifflichkeiten und Zusammenhänge

In Bezug auf die Ertragsteuern treffen wir im Konzern- bzw. Jahresabschluss auf ganz verschiedene Begrifflichkeiten, die ich zu Beginn gerne einmal erläutern und etwas gegeneinander abgrenzen möchte:

  • Erwarteter Steueraufwand: Dies ist der erwartete Steueraufwand, wenn man den gesetzlichen Steuersatz (Statutory Tax Rate) zugrunde legt. Dies kann der Steuersatz des Heimatlandes des Unternehmens sein (für ein deutsches Unternehmen aktuell ca. 30%, für ein amerikanisches 21%). Für ein sehr international aufgestelltes Unternehmen kann aber auch der gewichtete Steuersatz der einzelnen Länder verwendet werden
  • Tatsächlicher bzw. effektiver Steueraufwand (Income Tax Provision): Dies ist der Steueraufwand, den wir in der Gewinn- und Verlustrechnung wiederfinden und auf dessen Basis der effektive Steuersatz (Effective Tax Rate) ermittelt wird. Der effektive Steueraufwand unterscheidet sich vom erwarteten Steueraufwand durch bestimmte dauerhafte und nicht umkehrbare Differenzen (z.B. im Steuerrecht nicht abzugsfähige Aufwendungen oder steuerfreie Erträge)
  • Laufender Steueraufwand: Dies ist der Anteil des effektiven Steueraufwandes, der bereits für die laufende Periode zahlbar ist
  • Latenter Steueraufwand: Dies ist der Anteil des effektiven Steueraufwands, der noch nicht direkt gezahlt werden muss, sondern erstmal als latente Steuerverbindlichkeit in die Bilanz geschrieben wird, bis sich die Unterschiede zwischen Handels- und Steuerbilanz umkehren
  • Steuerrückstellungen (Taxes Payable): Eine kurzfristige Verbindlichkeit bzw. ein Abgrenzungsposten, der der Tatsache Rechnung trägt, dass der Jahresabschluss erst zu Beginn des Folgejahres erstellt werden und deshalb die Ertragsteuer (bzw. die Differenz zu den bereits geleisteten Vorauszahlungen) erst in der Folgeperiode tatsächlich gezahlt werden kann
  • Gezahlte Steuern: Hierbei handelt es sich um die tatsächlich im abgelaufenen Jahr gezahlten Steuern laut Kapitalflussrechnung. Je nach Präsentationsform (z.B. wenn ausgehend vom Nettogewinn) kann auch nur der nicht cash-wirksame Anteil des effektiven Steueraufwands explizit dargestellt sein
  • Latente Steuerforderungen bzw. -verbindlichkeiten (Deferred Tax Assets bzw. Liabilities): Dies sind die kumulierten Unterschiede zwischen Handels- und Steuerbilanz, die jährlich mit dem effektiven Steueraufwand in die eine oder andere Richtung “verrechnet” werden

Um die genauen Zusammenhänge und Hintergründe zwischen erwarteten Steuern, tatsächlichen Steuern (effektiven Steuern), laufenden Steuern, latenten Steuern usw. herzustellen, müssen wir einen Blick in den Anhang des Jahresabschlusses werfen. Dieser beantwortet uns im Zweifel zwar nicht alle, aber schon einen Großteil der offenen Fragen.

Vor allem relevant sind hier die so genannte Überleitungsrechnung (zu finden im Anhang zu den Ertragsteuern) sowie die Aufstellung über die Veränderung der latenten Steuern (falls verfügbar).

Hier einmal eine schematische Darstellung der Anpassungen der Ertragsteuern:

Aufteilung der Ertragsteuern

Im Folgenden möchte ich die Zusammenhänge einmal anhand eines ganz konkreten Beispiels erläutern und dabei auch auf die ganz konkreten Abweichungen eingehen.


Dauerhafte Differenzen: Herleitung der effektiven Ertragsteuern

Starten wir einmal mit der Ableitung der effektiven Ertragsteuern bzw. des effektiven Steuersatzes aus dem erwarteten bzw. gesetzlichen Steuersatz (stellenweise auch Grenzsteuersatz oder marginaler Steuersatz genannt). Hier seht ihr einmal die Überleitungsrechnung aus dem Geschäftsbericht der Freenet AG für das Jahr 2019 inkl. der Herleitung des erwarteten Steuersatzes (für Freenet bei ca. 30,3%):

Ertragsteuern - Ãœberleitungsrechnung Freenet AG

Überleitungsrechnung Freenet AG; Quelle: Geschäftsbericht 2019

Wie ihr sehen könnt beträgt der Ertragsteueraufwand laut Gewinn- und Verlustrechnung für das Jahr 2019 ca. 53,3 Mio. EUR (= tatsächlicher bzw. effektiver Steueraufwand), was einem Effektivsteuersatz von ca. 22,4% entspricht.

Die Differenz zum erwarteten Ertragsteuersatz von 30,3% liegt in einigen spezifischen, nicht umkehrbaren bzw. dauerhaften Differenzen.

 Dauerhaft 

 bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Differenzen zum gesetzlichen Steuersatz in zukünftigen Perioden

 nicht 

 nachgezahlt werden müssen (aber nicht notwendigerweise, dass dieser Unterschied auch in den Folgejahren Bestand haben wird).

Hier einmal die wesentlichen Ursachen für dauerhafte Unterschiede zwischen erwarteten und effektiven Ertragsteuern:

  • Erwartete Steuersatzänderungen: Erfordert die Neubewertung aller latenten Steuern für zukünftige Jahre
  • Foreign Tax Rate Differential: Erfasst Abweichungen lokaler Steuersätze im Vergleich zum angewendeten erwarteten Steuersatz
  • Nicht abzugsfähige Aufwendungen: Bei der Ermittlung des EBT abgezogen, aber steuerlich nicht abzugsfähig
  • Steuerfreie Erträge: Im EBT enthaltener Ertrag, allerdings nicht steuerbar, z.B. Beteiligungs- und Veräußerungserträge, Investitionszulagen oder Gewinne ausländischer Tochtergesellschaften (Tax Holidays)
  • Steuerliche Verlustvorträge: Wertberichtigungen bzw. Nachaktivierung latenter Steuern auf Verlustvorträge (jährliche Ãœberprüfung). Im Englischen als Valuation Allowance bekannt
  • Aperiodische Effekte („True Ups“): Effekte, die eine Vorperiode betreffen (z.B. im Nachgang zu einer Betriebsprüfung)
  • Sonstige Effekte: Effekte unterhalb der 5% Grenze, z.B. aus @Equity Beteiligungen, nicht-abzugsfähigen Goodwill-Abschreibungen

Die meisten der dargestellten Effekt sind aus meiner Sicht intuitiv recht gut nachzuvollziehen. Die mit der Veränderung der latenten Steuern zusammenhängenden Effekte möchte ich aber doch kurz anhand eines kleinen Beispiels erläutern… insbesondere weil der Begriff latente Steuern ja eigentlich richtigerweise mit den

 umkehrbaren Effekten 

in Verbindung gebracht wird.

Beispiel: Wertberichtigung latenter Steuern auf Verlustvorträge

Ein Unternehmen mit einem Steuersatz von 40% hat in der Vergangenheit Verlustvorträge (Net Operating Losses oder NOLs) in Höhe von 40 Mio. EUR angesammelt. Eine Verwendung dieser Verlustvorträge ist noch in den kommenden zwei Jahren möglich. Die Verlustvorträge können deshalb als aktive latente Steuern (oder latente Steuerforderungen bzw. Deferred Tax Assets) in einer Höhe von 16 Mio. EUR (= 40 Mio. EUR NOL x 40% Steuersatz) aktiviert und in die Bilanz geschrieben werden.

Nochmal zur Erinnerung: Ein DTA reflektiert eine Steuerforderung aus der Vergangenheit, die die zu zahlenden Steuern in der Zukunft reduziert.

Da das Unternehmen laut eigener Planung für das laufende Jahr einen Vorsteuergewinn von 16 Mio. EUR und für das Folgejahr einen Vorsteuergewinn von 24 Mio. EUR erwartet, geht man zunächst von einer vollständige Nutzung der Verlustvorträge aus.

Wertberichtigung latenter Steuern auf Verlustvorträge

Nach Ablauf des zweiten Quartals nun bestätigt der Vorstand die Planung für das laufende Jahr. Für das Folgejahr hingegen rechnet er nunmehr nur noch mit einem Gewinn von 20 Mio. EUR (vorher 24 Mio. EUR).

Aus diesem Grund kann ein Teil der Verlustvorträge – nämlich genau 4 Mio. EUR – nun nicht mehr genutzt werden. Die zugehörige latente Steuerforderung muss dem entsprechend aufgelöst werden. Der DTA wird also um den entsprechenden Anteil (40% von 4 Mio. EUR = 1,6 Mio. EUR) verringert und in der laufenden Periode als zusätzlicher Steueraufwand berücksichtigt.

Während der erwartete Steueraufwand für das laufende Jahr also bei 6,4 Mio. EUR liegt (= 40% x 16 Mio. EUR Gewinn), betragen die effektiven Ertragsteuern sogar 8 Mio. EUR. Der effektive Steuersatz liegt in diesem Beispiel also oberhalb des erwarteten, nämlich bei 50%.


Latente Steuern bzw. temporäre Differenzen

Wie bereits oben erwähnt, entspricht der in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesene effektive Steueraufwand noch nicht notwendigerweise den tatsächlich gezahlten Steuern. Hier kommen nämlich nun die Unterschiede zwischen Handels- und Steuerbilanz bzw. die latenten Steuern ins Spiel.

In vielen Fällen unterscheiden sich nämlich die Accounting-Vorschriften nach IFRS von denen des Steuerrechts, sodass die zu zahlenden Steuern vom Finanzamt auf Basis eines anderen Gewinns ermittelt werden, als im Jahresabschluss ausgewiesen. Mehr zu dieser Logik findet ihr im DIY Investor Artikel zu den latenten Steuern.

Hier einmal beispielhaft die relevanten Informationen aus dem Geschäftsbericht von Freenet:

Ertragsteuern - Laufende und latente Steuern

Überleitung von effektivem zu laufendem Steueraufwand; Quelle: Geschäftsbericht Freenet AG 2019

Wie ihr der Abbildung entnehmen könnt, sind die laufenden Ertragsteuern mit ca. 26 Mio. EUR nochmal substantiell geringer als die effektiven Ertragsteuern laut GuV. Dies liegt vor allem an der Bildung neuer latenter Steuerverbindlichkeiten bzw. der Nutzung / dem Abbau von Steuerforderungen (DTAs)… und natürlich führen auch die Wertberichtigungen auf bereits bestehende latente Steuern (Valuation Allowance) zu einer Veränderung der latenten Steuern.

Beispielsweise hat die Freenet AG in 2019 ca. 9,6 Mio. EUR an Ertragsteuern aufgrund der Nutzung vorhandener Verlustvorträge aus der Vergangenheit “gespart”.

Da es sich übrigens bei Freenet nicht um ein Wachstumsunternehmen im eigentlichen Sinne handelt, finden wir nur einen sehr geringen Anteil an latenten Steuerverbindlichkeiten aus Sachanlagen bzw. Abschreibungen (so gering, dass ich den Posten unter “sonstige DTLs” zusammengefasst habe). Unternehmen, die noch sehr stark wachsen und in jedem Jahr weitere fixe Assets (Produktionsanlagen, Standorte, Läden etc.) hinzufügen, können langfristig von der Möglichkeit der beschleunigten Abschreibung des Steuerrechts profitieren.

Ihr könntet euch fragen, inwieweit sich eigentlich die Wertberichtigung als dauerhafte Differenz von den hier dargestellten temporären Veränderungen der latenten Steuern unterscheidet. Um einmal beim Beispiel Verlustvorträge zu bleiben: Die dauerhaften Differenzen reflektieren eine Veränderung der Nutzungsmöglichkeit bereits existierender Verlustvorträge. Die latenten Steuern reflektieren zusätzlich noch neu hinzugekommene Verlustvorträge oder die tatsächliche Nutzung ebendieser.

Ansatz latenter Steueransprüche

Wie ihr aus dem weiter oben vorgestellten Beispiel entnehmen könnt, hängen die in der Bilanz aktivierten latenten Steuerforderungen offenbar von den zukünftig erwarteten Gewinnen ab.

Hier dazu einmal ein Auszug aus dem Anhang zum Konzernabschluss der Freenet AG:

Latente Steueransprüche auf abzugsfähige temporäre Differenzen werden in der Höhe angesetzt, für die latente Steuerverbindlichkeiten vorhanden sind. Übersteigt die Höhe der latenten Steueransprüche auf abzugsfähige temporäre Differenzen diesen Wert, erfolgt ein Ansatz nur in der Höhe, wie die Nutzung dieser latenten Steueransprüche durch zukünftige Gewinne wahrscheinlich ist. Auch latente Steueransprüche auf existierende steuerliche Verlustvorträge werden nur in der Höhe aktiviert, wie deren Nutzung durch zukünftige Gewinne wahrscheinlich ist. Die zukünftig erwarteten Gewinne basieren dabei auf der zum Bilanzstichtag gültigen Unternehmensplanung des Ergebnisses vor Steuern.

Daraus geht ziemlich deutlich hervor, dass latente Steueransprüche (u.a. auch auf Verlustvorträge) nur in der Höhe angesetzt werden dürfen, in der sie wahrscheinlich mit den Gewinnen der nächsten vier bis fünf Jahre (dem typischen Planungszeitraum einer operativen oder strategischen Unternehmensplanung) verrechnet werden können.

Ändert sich allerdings – wie im obigen Beispiel beschrieben – die Planung, dann müssen die DTAs entweder wertberichtigt oder aber nachaktiviert werden (sofern noch weitere Steueransprüche vorhanden sind, für die noch kein DTA gebildet wurde).

Freenet beispielsweise sagt im Geschäftsbericht, dass es noch ca. 0,8 Mrd. EUR weitere Verlustvorträge gibt, für die bisher kein DTA gebildet wurde, weil die Gewinnprognose für die nächsten vier Jahre das nicht hergibt. Die zukünftige Nutzung dieser Verlustvorträge hängt dann also einerseits von den Gewinnerwartungen, andererseits auch vom Verfallsdatum der Verlustvorträge ab.


Steuersatz für die Bewertung

Der Steuersatz, den wir für unsere Bewertung nutzen, kann einen signifikanten Effekt auf den erwarteten freien Cash Flow und damit unser Bewertungsergebnis haben.

Für die Bewertung sollten wir uns deshalb die oben beschriebenen Steuereffekte einmal genau ansehen und dabei vor allem auf drei Dinge achten:

  • den effektiven Steuersatz: Welche dauerhaften Unterschiede werden auch im nächsten Jahr auftreten bzw. welche sind als einmalig anzusehen? Veränderungen latenter Steuern aufgrund von Steuersatzänderungen oder Planungsänderungen sind vermutlich einmalig, Abweichungen der Steuersätze ausländischer Tochtergesellschaften vermutlich bis auf Weiteres dauerhaft etc.
  • die vorhandenen Verlustvorträge (NOLs) und wie diese in den kommenden Jahren genutzt werden können
  • das zukünftige Wachstum bzw. die latenten Steuerverbindlichkeiten (DTLs) aus Abschreibungen / Sachanlagen, um eine Aussage darüber zu treffen, ob die Zahlung der latenten Steuerverbindlichkeiten noch weit in die Zukunft verschoben werden kann und die Verbindlichkeiten ggf. sogar noch wachsen… oder ob auf absehbare Zeit eine Umkehrung eintritt

Hierbei ist allerdings ein  gewisser Pragmatismus  wesentlich, denn mit diesen Steuerthemen kann man wirklich sehr viel Zeit verbringen. 🙂


Fazit

Wenn wir die in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesenen Ertragsteuern (die tatsächlichen oder effektiven Steuern) in Bezug zum Vorsteuergewinn setzen, erhalten wir typischerweise nicht den gesetzlichen Steuersatz. Dies liegt an verschiedenen, nicht umkehrbaren Unterschieden, die z.B. aus steuerfreien Erträgen, anderen Steuersätzen im Ausland etc. herrühren können.

Die tatsächlichen Ertragsteuern wiederum lassen sich in laufende Steuern (für die abgelaufene Periode zu zahlen) und in latente Steuern (erst in zukünftigen Perioden zu zahlen) aufteilen.

Für die Bewertung sollten wir uns einerseits überlegen, welche der dauerhaften Differenzen auch in Zukunft noch auftreten (Annahme des effektiven Steuersatzes). Andererseits sollten wir uns auch ansehen, inwieweit die existierenden latenten Steuern kurzfristig genutzt werden können (z.B. Verlustvorträge) und ob diese durch weiteres Wachstum sogar noch weiter zunehmen und zu einer längerfristigen Differenz zwischen den Steuern laut GuV und den gezahlten Steuern führen.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Weitere relevante Artikel zum Thema

Warenkorb
Nach oben scrollen