Carson Block: Tipps von einem der bekanntesten Short Seller

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Carson Block

Spätestens seit dem Bilanzskandal rund um Wirecard werden Short Seller auch hier in Deutschland nicht mehr ausschließlich als Kursmanipulatoren, sondern zunehmend auch als wichtiges Regulativ im Markt wahrgenommen. Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe an bekannten Short Sellern (z.B. Carson Block von Muddy Waters Research, Viceroy Research, Hindenburg Research oder Safkhet Capital) mit einem ziemlich guten Track Record, wenn es um die Aufdeckung von Bilanzmanipulationen geht.

Short Seller, die sich größtenteils darauf fokussieren, betrügerisch agierende Unternehmen zu finden, legen typischerweise eine gesunde Skepsis gegenüber den Managern, Aufsichtsgremien, Zuarbeitern und Informationsbeschaffern – innerhalb sowie außerhalb eines Unternehmens – an den Tag.

In diesem Artikel möchte ich euch einmal einen Überblick des Short Sellers Carson Block (Gründer von Muddy Waters Research) über die wesentlichen Anreize und daraus resultierenden Verhaltensweisen der typischerweise in einen Bilanzskandal involvierten Parteien vorstellen.

Wer die Geschehnisse rund um den Wirecard Bilanzskandal etwas näher verfolgt hat, wird viele Gemeinsamkeiten zwischen der generalisierten Einschätzung von Carson Block und den tatsächlichen Vorkommnissen feststellen.


Carson Block über charismatische Manager

CEOs und andere Top-Manager haben in vielen Fällen eine sehr einnehmende und begeisterungsfähige Art. Auf Außenstehende wirken sie sehr vertrauenserweckend.

Für die Führung eines Unternehmens mit Hunderten oder gar Tausenden von Mitarbeitern sind diese Eigenschaften unbestreitbar essentiell, für Investoren allerdings bergen sie unter Umständen eine große Gefahr. Das gilt insbesondere dann, wenn die internen Anreizsysteme (Vergütungsregeln, KPIs etc.) sich zu stark an kurzfristigen Entwicklungen orientieren.  Leider schließt nämlich eine einnehmende Art das gleichzeitige Manipulieren von Bilanzen nicht zwangsläufig aus. 

Je stärker CEOs im Rampenlicht stehen und von der Öffentlichkeit als Visionäre, Retter oder Ähnliches tituliert werden, desto geringer ist typischerweise ihre Bereitschaft, eigene Fehler der Öffentlichkeit gegenüber transparent darzustellen… und desto weniger reflektieren wir als Investoren das Versprochene.

Oft ist der erste Schritt in die falsche Richtung ein aggressives Accounting, das Umgehen kritischer Fragen und “kleine Unehrlichkeiten” in Bezug auf die Resultate von strategischen Initiativen, Erfolge von Übernehmen etc.

Als mögliche Ansatzpunkte für den Umgang mit einem möglichen Bias gegenüber CEO und Top-Management schlägt Carson Block vor, in Bezug auf Earnings Calls insbesondere auf die folgenden Themen zu achten:

  • Das Lesen von Conference Call bzw. Earnings Call Transcripts bzw. Protokollen ist besser als das Hören
  • Investoren sollten die Protokolle chronologisch lesen und nach strategischen Initiativen oder Projekten Ausschau halten, die plötzlich nicht mehr auftauchen oder nicht mehr weiterverfolgt wurden. Veränderungen der Sprache sind auch relevant
  • Zum Q&A-Teil von Earnings Calls sollten Investoren die folgenden Punkte beachten:
    • Wird kritischen Fragen systematisch ausgewichen? Wenn ja, welchen?
    • Wiederholen sich die Fragen in den einzelnen Quartalen regelmäßig? Falls ja, steht der die Frage stellende Analyst dem Management möglicherweise zu nahe?
    • Werden regelmäßig die gleichen Analysten mit ihren Fragen drangenommen? In diesem Fall könnte es sich um eine gute Inszenierung handeln (“smells like a stage-managed call”)
Management is better seen than heard. […] If I were to shake hands and like the people, I think that would really cloud my judgement. – Carson Block

Zusammenfassend lässt sich aus der Sicht von Carson Block wohl sagen, dass eine gewisse Distanz zum Management geboten ist, um die nötige unabhängige Sicht auf ein Unternehmen zu wahren.


Carson Block zu Verwaltungs- bzw. Aufsichtsräten

Obwohl der Aufsichts-bzw. Verwaltungsrat sich offiziell dem Wohle des Unternehmens und der Aktionäre verpflichtet hat, besteht doch oft eine fast schon symbiotische Beziehung zum Management. Das gilt insbesondere für den CEO, der in vielen Fällen die Kandidaten für die Wahl in den Aufsichtsrat selbst vorschlägt.

Viele Aufsichtsräte sehen in ihrem Aufsichtsratsposten daher auch eher  einen mit einem netten Nebenverdienst einhergehenden Gefallen als eine ernstzunehmende Verpflichtung  und sind dem entsprechend dem Management gegenüber oft sehr handzahm.

Darüber hinaus sind Aufsichtsräte in der Regel durch entsprechende Versicherungen etc. vor möglichen Aktionärsklagen geschützt. Die negativen Konsequenzen eines Fehlverhaltens sind dadurch für den Einzelnen sehr überschaubar. (Als Fehlverhalten zählt es übrigens auch, das Management einfach machen zu lassen und nichts zu hinterfragen.)

Manchmal kommt es außerdem vor, dass aus dem Aufsichtsrat bzw. Verwaltungsrat “unabhängige” Untersuchungen angestoßen werden, um ein mögliches Fehlverhalten des Managements zu prüfen. Laut Carson Block sind die Ergebnisse dieser Untersuchungen in höchstem Maße unglaubwürdig, weil der Aufsichtsrat damit seine eigene Inkompetenz eingestehen müsste. Ohne bereits vorgreifen zu wollen: Auch die Wirtschaftsprüfer spielen hierbei natürlich eine gewichtige Rolle.

Im Rahmen des Wirecard-Bilanzskandals wurde z.B. als Antwort auf die ersten Vorwürfe in 2008 ein solches “unabhängiges” Gutachten in Auftrag gegeben. Für die Entlastung wurde EY mit dem offiziellen Prüfungsmandat belohnt, welches die Firma bis zum Kollaps in 2020 innehatte.

Zusammenfassend Carson Blocks Einschätzung von Aufsichtsräten: Man kann sich nicht auf sie verlassen (“You cannot rely on them!”).


Die Rolle von Rechtsanwälten aus Sicht von Carson Block

Für Rechtsanwälte gilt im Grunde genommen das Gleiche. Es sollte uns nicht überraschen, dass Rechtsanwälte  ausschließlich die Interessen ihrer Mandanten  vertreten, das heißt derjenigen, von denen sie bezahlt werden (nur zur Klarstellung: hier sind das Unternehmen und sein Management gemeint und nicht die Investoren, denen das Unternehmen schlussendlich gehört).

Prestigious law firms are a surprisingly effective fig leaf. – Carson Block

Aufgrund ihres Prestiges von Großkanzleien mit wohlklingenden Namen stellt ihre Involvierung oft ein sehr effektives Ablenkungsmanöver dar.

Was die Ergebnispräsentation der Untersuchungen von Anwaltskanzleien angeht, gibt es im Wesentlichen zwei mögliche Taktiken:

  • Aufgrund des Anwaltsgeheimnisses bekommt die Öffentlichkeit einen Großteil der (unter Umständen kompromittierenden) Fakten gar nicht zu Gesicht
  • Nicht unter das Anwaltsgeheimnis fallende relevante Informationen werden geschickt in der typischen anwaltlichen Prosa versteckt

Auch in puncto Rechtsanwälte ist der Fall Wirecard recht aufschlussreich. So beauftragte Wirecard in 2018 die Singapurer Kanzlei Rajah & Tann mit einer “unabhängigen” Untersuchung der Vorgänge im Asiengeschäft. Die Süddeutsche berichtete in 2019 allerdings von Gesprächen über Zwischenergebnisse mit dem Management. Ein finaler Bericht von Rajah & Tann würde nie veröffentlicht.


Carson Block über Wirtschaftsprüfer bzw. Auditoren

Carson Block sagt, dass die Rolle der Wirtschaftsprüfer von der Investoren-Community komplett missverstanden wird, weil auch diese – ähnlich wie die Anwälte – eher  ihre eigenen Interessen verfolgen (nämlich vor allem die Verlängerung ihres Prüfungsmandats)  und diese in der Regel einer unabhängigen Prüfung voranstellen.

Laut Block ist das Prüfen von Unternehmensbilanzen ein Geschäft, in dem Versagen belohnt wird: Negative Prüfberichte führen nämlich in vielen Fällen zu langfristigen Prüfungsmandaten. Das Management will Klagen oder andere rechtliche Konsequenzen verständlicherweise vermeiden und ist deshalb auf den Prüfer angewiesen… als Mitverschwörer sozusagen.

Wohin das führen kann, zeigt ein Absatz aus dem EY-Prüfbericht von Sino-Forest, einer Firma, bei der sich Carson Blocks Vorwürfe der Bilanzfälschung im Nachhinein als richtig erwiesen:

The majority of the accounts receivable arising from sales of standing timber are realized through instructing the debtors to settle the amounts payable on standing timber and other liabilities denominated in Renmimbi. – EY im Prüfbericht zu Sino-Forest

Selbst für jemanden mit sehr guten Englischkenntnissen ist dieser Satz kaum zu verstehen. Carson Block liefert die Übersetzung aus seiner Sicht: 95% der von Sino-Forest über die letzten 16 Jahre reporteten Bruttogewinne sind nie als Cash auf den Bankkonten des Unternehmens gelandet bzw. die Forderungen wurden nie eingetrieben!

Aus diesem Grund sollten  verklausulierte und unverständlich formulierte Offenlegungen  für jeden Investor ein klares Warnsignal darstellen.


Über Investmentbanker und Analysten

Das Hauptanliegen der Investmentbanken ist es, Finanzprodukte – Aktien, Anleihen etc. – an Anleger zu verkaufen. Auch Investmentbanken und die von ihnen beschäftigten Equity Analysten handeln deshalb in der Regel nicht im Interesse der Investoren. Manchmal werden Analysten für ihre Reports auch  von den Unternehmen selbst bezahlt  (vor allem bei Small Caps ist das nicht unüblich).

Analysten haben darüber hinaus mit ganz praktischen Problemen zu kämpfen: Sind sie zu kritisch, stellt das Unternehmen ihnen unter Umständen keine Informationen mehr zur Verfügung oder lädt sie nicht mehr zu Analystenveranstaltungen ein. Weitergehende IR-Informationen sind allerdings für die Arbeit der meisten Analysten essentiell.

Negative Analystenkommentare werden deshalb – wenn überhaupt – meist nur sehr stark abgemildert veröffentlicht.

Aus diesem Grund sagt Carson Block auch, dass Investoren sich  nicht auf Analystenreports verlassen  sollten, wenn sie auf der Suche nach Aktienempfehlungen sind.


Carson Block zum Thema Marktforschung / Markt Research

Carson Blocks Anmerkungen hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit von Marktanalysen, z.B. Research von Frost & Sullivan oder iResearch, waren für mich ehrlichgesagt noch recht neu.

Allerdings hatte ich mich tatsächlich schon des Öfteren gefragt, auf welchem Wege die Verfasser von Marktreports zu ausgesprochenen Nischenmärkten zu ihren teilweise doch sehr detaillierten Marktsegmentierungen etc. gelangen.

Block sagt hierzu im Wesentlichen, dass Unternehmen die Analysehäuser nicht nur für die Erstellung der Marktreports bezahlen, sondern ihnen teilweise sogar die Rohdaten und weiteren Research zur Nutzung zur Verfügung stellen. Das Label der “unabhängigen” Marktforschung wird also manchmal dazu missbraucht, um die Aussagen des Managements hinsichtlich erwarteter Wachstumsraten etc. zu untermauern.

Mit anderen Worten: Die in Investorpräsentationen enthaltenen Marktzahlen sind unter Umständen komplett fabriziert und basieren tatsächlich auf  Informationen des Unternehmens selbst,  auch wenn als Quelle der Name einer bekannten (vielleicht nicht unbedingt renommierten) Researchfirma auftaucht.

Schlussfolgerung: Anstatt sich auf externe Marktprognosen zu verlassen, sollten Investoren eher nach objektiveren Quellen wie beispielsweise tatsächlichen Umsatzdaten und -trends schauen.


Key Take Aways

Carson Block, der Gründer von Muddy Waters Research, ist einer der bekanntesten Short Seller weltweit.

In einer Präsentation auf dem Value Investing Congress 2014 hat Block einmal die Anreize der wesentlichen, typischerweise in eine Bilanzfälschung involvierten Parteien dargestellt.

Seine Kernaussage: Investoren sollten weder den Aussagen des Managements noch denen einzelner Aufsichtsratsmitglieder blind vertrauen.

Die Beauftragung von Sondergutachten bzw. Involvierung von Wirtschaftsprüfern und Anwälten stellt aufgrund der falschen Incentivierung dieser Firmen nicht per sé eine Entlastung von im Raum stehenden Vorwürfen dar. Eher im Gegenteil ist die Beauftragung von mit dem Unternehmen verbandelten renommierten Kanzleien eher noch als weiteres Warnsignal zu werten.

Auch den Empfehlungen von Investmentbanken und den Marktdaten externer Marktforschungsunternehmen sollten Investoren nicht zu viel Gewicht beimessen, denn auch diese werden unter umständen vom Unternehmen selbst finanziert bzw. unterstützt.

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