Ich nehme einmal an, dass mindestens einige von euch mit dem Begriff Prinzipal-Agent-Theorie (principal agent theory) etwas anfangen können. Was die meisten von euch allerdings vermutlich nicht wissen – und was ich selbst bis vor kurzem auch nicht wusste: Auch bei der Logik hinter der Erfassung von Umsatzerlösen wird ggf. zwischen Prinzipalen (manchmal auch “Merchants” genannt) und Agenten (“Agents”) unterschieden. In der Praxis ist hier meist vom “Principal Agent Framework” die Rede bzw. wird die Begrifflichkeit des “Merchant Model” verwendet. Da dieser Aspekt insbesondere auch für Handelsunternehmen wichtig und relevant ist, habe ich das Thema aber jetzt im Rahmen der etwas umfangreicheren Enron Fallstudie nochmal etwas detaillierter aufbereitet.
Ergänzung: Die hier vorgestellte Logik zur Erfassung von Umsatzerlösen hat nur indirekt etwas mit den im Bereich der Online-Reisebüros (Online Travel Agencies oder OTAs) verwendeten Begrifflichkeiten “Merchant Model” und “Agency Model” zu tun. Dazu aber später noch etwas mehr.
Intro: Unterschiedliche Umsatzerfassung für Prinzipal und Agent
Zum Start vielleicht ein paar ganz generelle Worte zur Einordnung: Sowohl nach IFRS (IFRS 15), als auch nach US GAAP (ASC 606) werden Umsätze für ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung in Abhängigkeit von der Einordnung des berichtenden Unternehmens als Prinzipal oder Agent auf unterschiedliche Weise erfasst:
- Prinzipal bzw. Merchant: Wird das berichtende Unternehmen für den Verkauf eines bestimmten Produkts als Prinzipal eingestuft, dann muss es als Umsatz den so genannten Bruttoumsatz ausweisen, also den vom Endverbraucher an das Unternehmen gezahlten Preis
- Agent: Erfolgt eine Einstufung als Agent, ist nur die Differenz zwischen Verkaufs- und Einkaufspreis (das Mark-up oder auch die erhaltene Provision) als Umsatz auszuweisen
Bevor wir nun tiefer in die Thematik der Erfassung von Umsatzerlösen einsteigen, sollten wir die Begrifflichkeiten einmal kurz definieren.
Laut Wikipedia bezeichnet der Begriff Prinzipal zunächst mal ganz generell einen Auftraggeber, der Begriff Agent einen Auftragnehmer:
Eine Prinzipal-Agent-Beziehung entsteht, wenn zwischen dem Prinzipal (Auftraggeber) und dem Agenten (Auftragnehmer) ein Vertrag geschlossen wird. – Wikipedia
Diese etwas generische Definition ist allerdings noch nicht ausreichend bzw. passend, um die Problemstellung in Bezug auf die Umsatzerfassung genau zu verstehen. Aus diesem Grund schauen wir uns einmal eine typische Wertschöpfungskette für die Bereitstellung eines Produkts an den Endverbraucher an. Es gibt hier in der Regel einen Lieferanten (Produzenten oder Großhändler), einen Einzel- oder Zwischenhändler sowie einen Endverbraucher:
Bei einer solchen Wertschöpfungskette stellt sich insbesondere für den Einzel- bzw. Zwischenhändler in der Mitte die Frage nach dem richtigen Umsatzausweis. Im Falle einer Konstellation mit nur zwei Parteien (also z.B. Produzent liefert direkt an Endverbraucher) dagegen ist klar, dass der Umsatzausweis nur auf einer Bruttobasis erfolgen kann.
Die zu beantwortende Frage in der Dreier-Konstellation lautet also: Handelt es sich beim angesprochenen Einzel- bzw. Zwischenhändler selbst um den Prinzipal oder “nur” um einen Agenten, der im Auftrag des eigentlichen Prinzipals, also in dem Falle des Produzenten bzw. Großhändlers, handelt?
Nochmal zur Erinnerung: Im ersten Fall müsste der Zwischenhändler den gesamten, dem Endverbraucher in Rechnung gestellten Betrag als Umsatz ausweisen, im zweiten Fall nur das Mark-up bzw. die Provision (also die Differenz aus Verkaufspreis und Einkaufspreis).
Kriterium für die Klassifizierung als Prinzipal: Kontrolle über das Produkt
Um als ausführendes Unternehmen für den Verkauf einer bestimmten Ware bzw. eines bestimmten Produkts oder die Durchführung einer bestimmten Dienstleistung gegenüber dem Kunden als Prinzipal bzw. Merchant klassifiziert zu werden, ist im Wesentlichen ein Kriterium zu erfüllen:
Das berichtende Unternehmen (unser Zwischenhändler) muss die spezifische Ware bzw. Dienstleistung kontrollieren , bevor sie an den Endverbraucher weitergegeben wird.
Hier einmal die Formulierung aus einem Paper von Deloitte zur Definition der “Kontrolle” entsprechend IFRS 15:
Demnach kontrolliert das Unternehmen eine Ware oder Dienstleistung, wenn es in der Lage ist, deren Nutzung zu bestimmen und im Wesentlichen alle Vorteile aus dieser Nutzung zu ziehen. Kontrolle beinhaltet auch die Fähigkeit, ein anderes Unternehmen daran zu hindern, die Nutzung einer Ware oder Dienstleistung zu bestimmen und die Vorteile daraus zu ziehen. – Paper “Prinzipal-Agenten Beziehungen” (Deloitte)
Aus der Definition von Deloitte abgeleitet, lässt sich die Kontrolle über eine Ware bzw. eine Dienstleistung in der Praxis an den folgenden Merkmalen festmachen (müssen nicht zwangsläufig alle gleichzeitig erfüllt sein):
- Das berichtende Unternehmen kombiniert die Ware bzw. Dienstleistung zusammen mit anderen Waren bzw. Dienstleistungen zu einem neuen Angebot (für welches mit dem Kunden bzw. Endverbraucher ein Vertrag abgeschlossen wird)
- Die Verantwortung für die Bereitstellung der Ware bzw. Dienstleistung entsprechend der vertraglichen Vereinbarung liegt beim berichtenden Unternehmen (kann z.B. die Einhaltung der Kundenspezifikationen oder bestimmter Qualitätsmerkmale beinhalten)
- Das Unternehmen trägt das Bestandsrisiko bzw. das “Inventory Risk” (z.B. geht die Ware vor dem Vertragsschluss mit dem Kunden bereits an das berichtende Unternehmen über bzw. wird nach einem möglichen Widerruf an dieses zurückgesandt)
- Das Unternehmen hat Spielraum bei der Preisgestaltung
Zusammenfassend haben die genannten Punkte eine Gemeinsamkeit: Sie alle deuten darauf hin, dass das Unternehmen die Verwendung des Vermögenswerts lenken und im Wesentlichen alle verbleibenden Vorteile aus der Ware oder Dienstleistung ziehen kann, bevor diese an den Kunden übertragen wird.
Allerdings muss das Management bei der Klassifizierung in der Regel einiges an Urteilsvermögen einfließen lassen und alle Kriterien entsprechend ihrer jeweiligen Relevanz im ganz spezifischen Fall einschätzen (also z.B. die konkreten vertraglichen Bedingungen und die üblichen Geschäftspraktiken). Unter anderem sollten die folgenden Unterlagen bzw. Informationen einbezogen werden:
- die konkreten Zahlungsströme zwischen den Parteien (allerdings ist diesbezüglich die Zahlung eines Nettobetrages nicht zwangsläufig in die eine oder andere Richtung zu interpretieren)
- die spezifischen Bedingungen des Vertrags zwischen dem berichtenden Unternehmen und der anderen Partei (Vertragsklauseln, die die Verantwortlichkeiten, Befugnisse und Rechte der Parteien regeln, können Hinweise darauf geben, ob das berichtende Unternehmen die Kontrolle über die spezifische Ware oder Dienstleistung erlangt)
- die üblichen Geschäftspraktiken in ähnlichen Branchen oder Märkten
- ggf. vorhandene rechtliche und regulatorische Anforderungen
Diese relativen Freiheitsgrade bzgl. der Einkategorisierung hat beispielsweise Enron Ende der 1990er Jahre ausgenutzt, um nach Einführung der Handelsplattform Enron Online ein weiteres starkes Umsatzwachstum ausweisen zu können.
Hier einmal eine grafische Darstellung des grundsätzlichen Vorgehens zur Unterscheidung zwischen Prinzipal und Agent:
Hauptsächliche Verantwortung für die Erfüllung
Ob das berichtende Unternehmen (also der Zwischenhändler) hauptsächlich für die Erfüllung des (Liefer-)Versprechens an den Endverbraucher verantwortlich ist, lässt sich in der Praxis anhand verschiedener Indikatoren festmachen.
Hier einmal beispielhaft ein paar Fragen, die im Hinblick auf die Einschätzung der Verantwortung gestellt werden können / sollten:
- Wer wird aus Sicht des Endverbrauchers als verantwortlich angesehen und ist z.B. für den Kundenservice und die Bearbeitung von Beschwerden zuständig? Wer ermöglicht es dem Endverbraucher, das richtige Produkt überhaupt erst zu identifizieren bzw. auszuwählen?
- Ist das berichtende Unternehmen ggf. zuständig für die Beschaffung eines Ersatzprodukts (von einem anderen Produzenten)?
- Kann das berichtende Unternehmen frei darüber entscheiden, mit welchen Lieferanten oder Anbietern es Verträge abschließt, um Bestellungen ausführen zu lassen (“Lieferantenwahl”) oder – falls der Produzent den Vertrag selbst erfüllt – maßgeblich beeinflussen, wie das geschieht?
- Kann das berichtende Unternehmen Bestellungen umpriorisieren?
- Zeigen Marketingmaterialien, AGBs, FAQs etc., dass das berichtende Unternehmen für die Bereitstellung der Ware oder Dienstleistung verantwortlich ist?
- Hat der Endverbraucher eine vertragliche Beziehung zur anderen Partei (dem Produzenten oder Großhändler)?
Disclaimer: Die obige Fragenliste sollte nicht als umfängliche Checkliste angesehen und auch nicht als solche verwendet werden. Wie schon erläutert, können in der individuellen Betrachtung auch ganz spezifische Einzelaspekte den Ausschlag für eine Klassifizierung als Prinzipal oder als Agent geben.
Bestandsrisiko
Das Bestandsrisiko bzw. Inventory Risk ist ein wesentlicher Indikator für die Kontrolle über eine Ware oder Dienstleistung (kann allerdings – wie wir gleich sehen werden – für sich genommen meist nicht als ausschlaggebendes Kriterium angesehen werden).
Zunächst mal: Wenn das berichtende Unternehmen das unternehmerische Risiko eines Verlustes trägt (z.B. bei Rücksendungen, physischen Beschädigungen, Überalterungen oder sonstigen Wertminderungen), dann spricht erstmal vieles dafür, dass das Unternehmen die Kontrolle über die Ware oder Dienstleistung innehat.
Allerdings: Die nur sehr kurzzeitige Übernahme des rechtlichen Eigentums an einem Produkt, z.B. in der Sekunde, bevor es an den Kunden übertragen wird (“Blitz-Titel”), kann nicht unbedingt als hinreichendes Kriterium für eine Klassifizierung als Prinzipal gewertet werden… im Grunde, weil das Bestandsrisiko in diesem Fall in der Praxis gar nicht beim Zwischenhändler liegt.
Umgekehrt muss das Fehlen eines Bestandsrisikos aber auch nicht zwangsläufig bedeuten, dass es sich beim Zwischenhändler “nur” um einen Agenten handelt. Z.B. könnte der Zwischenhändler den Produzenten auch anweisen, das Produkt direkt an den Kunden zu versenden (“Dropshipping”). In einem solchen Fall hätte der Zwischenhändler dann zwar möglicherweise nie ein substantielles Bestandsrisiko im Zusammenhang mit dem Produkt, könnte aber sehr wohl – aufgrund der Anweisungsbefugnis – der Prinzipal in dieser Konstellation sein.
Im Rahmen von Dienstleistungsvereinbarungen ist das Bestandsrisiko in der Regel zwar nicht relevant. Nichts desto trotz kann es aber auch hier so etwas wie ein Bestandsrisiko geben, z.B. wenn ein Vermittler sich verpflichtet, einen Dienstleister zu bezahlen, selbst wenn er in der Folge keinen Kunden identifizieren kann, der die Dienstleistung in Anspruch nimmt.
Ermessensspielraum bei der Preisgestaltung
Ein weiteres Kriterium, das auf eine Kontrolle über das Produkt bzw. die Dienstleistung hindeuten kann, ist ein gewisser Ermessensspielraum bei der Preisgestaltung.
Ein Zwischenhändler, der die Kontrolle über ein Produkt erlangt, hat normalerweise die Fähigkeit, den Preis für dieses Produkt unabhängig vom Produzenten bzw. Großhändler festzulegen. Auch hier gilt allerdings, dass ein gewisser Ermessensspielraum bei der Preisgestaltung nicht zwangsläufig bedeutet, dass der Zwischenhändler als Prinzipal agiert… genauso wenig, wie eine Preisvorgabe des Produzenten eine Klassifizierung als Agent bedeuten muss.
Hier wieder ein paar Fragen, die im Hinblick auf die Möglichkeiten der Preisgestaltung gestellt werden können / sollten:
- Kann das berichtende Unternehmen den Verkaufspreis nach eigenem Ermessen festlegen (ggf. solange es bestimmte Mindestanforderungen erfüllt)?
- Hat das berichtende Unternehmen die Möglichkeit, den Verkaufspreis auf der Grundlage von Verhandlungen mit dem Endverbraucher festzulegen bzw. basierend auf Marktbedingungen und Wettbewerb anzupassen?
- Hat das berichtende Unternehmen die Befugnis, Rabatte oder Preisnachlässe für die Ware oder Dienstleistung zu gewähren und Werbeaktionen mit Sonderangeboten durchzuführen?
Wie gesagt: Das Vorhandensein eines Ermessensspielraums bei der Preisgestaltung allein ist nicht unbedingt ausschlaggebend für die Beurteilung.
Umsatzausweis
Wurde einmal herausgearbeitet, ob es sich beim berichtenden Unternehmen (dem Zwischenhändler) um einen Prinzipal (Merchant) oder einen Agenten handelt, ist die Festlegung des Umsatzausweises nur noch Formsache (ich wiederhole die Regelung aus dem Intro):
- Prinzipal bzw. Merchant: Wird das berichtende Unternehmen für den Verkauf eines bestimmten Produkts als Prinzipal eingestuft, dann muss es als Umsatz
den so genannten Bruttoumsatz ausweisen, also den vom Endverbraucher an das Unternehmen gezahlten Preis - Agent: Erfolgt eine Einstufung als Agent, ist nur die Differenz zwischen Verkaufs- und Einkaufspreis (das Mark-up oder auch die erhaltene Provision) als Umsatz auszuweisen
Hier seht ihr das Ganze nochmal in Form einer kleinen Tabelle dargestellt:
Exkurs: Merchant Model versus Agency Model bei Online Travel Agencies (OTAs)
Die Begriffe “Merchant” und “Agent” bzw. “Merchant Model” und “Agency Model” werden in einem etwas anderen Kontext auch in Bezug auf die großen Online-Reisebüros (Online Travel Agencies bzw. OTAs) verwendet.
Bei Booking Holdings beispielsweise ist schon seit längerem eine Umstellung von der Nutzung des Agency- hin zur Nutzung des Merchant-Modells zu beobachten, welche vom Unternehmen in den Geschäftsberichten auch entsprechend dokumentiert wird.
In Bezug auf die OTAs sind Merchant und Agency Model nun folgendermaßen definiert:
- Agenturmodell (“Agency Model”): Der Kunde zahlt den Endpreis an das Hotel (entweder zum Zeitpunkt der Buchung oder beim Check-in). In der Regel zahlt das Hotel nach dem Check-out-Monat die vereinbarte Provision an die OTA
- Händlermodell (“Merchant Model”): Der Kunde zahlt den vollen Endpreis an die Agentur oder die OTA (und nicht an das Hotel). In der Regel zahlt die OTA nach dem Check-in-Datum den Nettopreis (Endpreis minus vereinbarte Provision) an das Hotel
Die Begrifflichkeiten und auch die tatsächlichen Zahlungsströme lassen im ersten Moment auf eine unterschiedliche Handhabung beim Ausweis der Umsätze schließen (analog zur Regelung im Rahmen von IFRS 15 und ASC 606). In der Praxis allerdings werden die Umsätze in beiden Fällen als Nettobetrag ausgewiesen, wie die folgenden Auszüge aus dem Geschäftsbericht von Booking Holdings verdeutlichen:
Agency revenues are derived from travel-related transactions where we do not facilitate payments from travelers for the services provided. Agency revenues consist almost entirely of travel reservation commissions from our accommodation, rental car, and airline reservation services. We invoice the travel service providers for our commissions after travel is completed. Substantially all of our agency revenue is from Booking.com’s accommodation reservations.
Merchant revenues are derived from transactions where we facilitate payments from travelers for the services provided, generally at the time of booking. Merchant revenues include travel reservation commissions and transaction net revenues (i.e., the amount charged to travelers, including the impact of merchandising, less the amount owed to travel service providers); credit card processing rebates and customer processing fees; and ancillary fees, including travel-related insurance revenues. The majority of our merchant revenue is from Booking.com’s accommodation reservations.
Quelle: Geschäftsbericht Booking Holdings (2022)
In diesem Fall haben wir es also “nur” mit ähnlichen Begrifflichkeiten zu tun, die aber schlussendlich keinen Bezug zur eigentlichen Praxis des Umsatzausweises haben.
Beispiele: Merchant versus Agent
Wie oben bereits erläutert, basiert die Klassifizierung als Merchant bzw. Prinzipal oder als Agent in vielen Fällen zu einem substantiellen Teil auf der qualitativen Einschätzung und Gewichtung verschiedener Kriterien durch das Management.
Anhand der folgenden Beispiele könnt ihr meiner Meinung nach gut erkennen, nach welcher Logik die Analyse verschiedener Geschäftsmodelle im Hinblick auf den Umsatzausweis erfolgen kann.
Falls ihr die Beispiele einmal im englischsprachigen Original nachlesen möchtet: Ich habe sie zum Großteil aus dem unten verlinkten Paper von PwC übernommen. Beachtet allerdings, dass die Beispiele eher theoretischer Natur sind und nicht ohne Weiteres auf reale Unternehmen (z.B. Amazon.com oder Booking Holdings) übertragen werden können. 🙂
Beispiel Online Retailer: Klassifizierung als Agent
WebCo betreibt eine Website, auf der Bücher verkauft werden. WebCo schließt einen Vertrag mit Bookstore ab, um die Bücher von Bookstore online zu verkaufen.
Die Website von WebCo weist Bookstore eindeutig als Verkäufer der Bücher aus und erleichtert die Zahlungen zwischen Bookstore und dem Endverbraucher. Der Verkaufspreis wird von Bookstore festgelegt, und WebCo erhält eine Gebühr in Höhe von 5 % des Verkaufspreises.
Bookstore versendet die Bücher nach Bestellung direkt an den Endverbraucher. Der Endverbraucher schickt die Bücher im Falle einer Reklamation zwar an WebCo zurück. WebCo hat in einem solchen Fall allerdings das Recht, die Bücher gegen volle Kaufpreisrückerstattung an Bookstore zurücksenden.
Im Ergebnis handelt WebCo in diesem Fall als (Verkaufs-)Agent für Bookstore und sollte die Umsätze dem entsprechend in Höhe der 5%igen Gebühr verbuchen, die Bookstore für die Vermittlung in Rechnung gestellt wird (also Buchung der Umsätze auf Nettobasis).
Folgende Begründung bzw. Indikationen:
- WebCo kombiniert das Buch nicht mit anderen Waren oder Dienstleistungen zu einer kombinierten Leistung
- WebCo weist Bookstore nicht an, Leistungen zu erbringen
- WebCo ist nicht primär verantwortlich für die Erfüllung der Zusage, ein Buch zu liefern
- WebCo hat kein Bestandsrisiko, da es das Recht hat, die reklamierten Bücher an Bookstore zurückzuschicken
- WebCo hat keinen Ermessensspielraum bei der Festlegung des Verkaufspreises
Beispiel Online Ticketverkäufe: Klassifizierung als Merchant bzw. Prinzipal
TravelCo verhandelt mit großen Fluggesellschaften, um Zugang zu Flugtickets zu ermäßigten Preisen zu erhalten und verkauft die Tickets über seine Website an Endverbraucher weiter.
TravelCo schließt mit den Fluggesellschaften i.d.R. Verträge über den Kauf von Ticket-Kontingenten zu festgelegten Preisen ab. Diese müssen unabhängig von einem möglichen Weiterverkauf erstmal bezahlt werden. TravelCo hat einen Ermessensspielraum bei der Festlegung der Preise für die Tickets, die es an die Endverbraucher weiterveräußert.
TravelCo ist verantwortlich für die Auslieferung des Tickets an den Endverbraucher und unterstützt bei der Lösung von Problemen mit dem Service der Fluggesellschaften.
Die Fluggesellschaft auf der anderen Seite ist verantwortlich für die Erfüllung aller anderen mit dem Ticket in Verbindung stehenden Verpflichtungen, einschließlich der Flugreise und der damit verbundenen Dienstleistungen sowie für die Abhilfe bei Unzufriedenheit mit der Dienstleistung.
Ergebnis: TravelCo erlangt die Kontrolle über das Recht auf die Dienstleistungen der Fluggesellschaft (die weiterverkauft oder selbst genutzt werden könnte) und überträgt dieses Recht (repräsentiert durch das Ticket) an den Endverbraucher. TravelCo ist in diesem Fall also der Merchant bzw. Prinzipal für den Verkauf des Tickets und sollte den gesamten vereinnahmten Ticketpreis (also den Bruttoumsatz) als Umsatz verbuchen.
Folgende Begründung bzw. Indikationen:
- Obwohl die Fluggesellschaft für die Erbringung der Flugdienstleistungen verantwortlich zeichnet, ist es die TravelCo, die in erster Linie für die Erfüllung des Versprechens gegenüber dem Endverbraucher zu vertreten (d.h. i.W. das Ticket an den Endverbraucher zu übertragen)
- TravelCo hat ein substantielles Bestandsrisiko, da das Ticket von der Fluggesellschaft im Voraus erworben werden muss
- TravelCo hat einen Ermessensspielraum bei der Festlegung des Verkaufspreises für das Ticket
Key Take Aways
Sind in die Bereitstellung einer Ware oder einer Dienstleistung an einen Endverbraucher mehr als zwei Parteien involviert (also z.B. ein Produzent und ein Zwischenhändler) dann hängt die Art und Weise der Erfassung von Umsätzen des Zwischenhändlers von dessen Eingruppierung nach IFRS 15 (IFRS) bzw. ASC 606 (US GAAP) ab. Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten:
- Prinzipal bzw. Merchant: Wird der Zwischenhändler für den Verkauf eines bestimmten Produkts als Prinzipal eingestuft, dann muss es als Umsatz den so genannten Bruttoumsatz ausweisen
- Agent: Erfolgt eine Einstufung als Agent, ist nur die Differenz zwischen Verkaufs- und Einkaufspreis als Umsatz darzustellen
Voraussetzung für die Einstufung als Prinzipal ist, dass der Zwischenhändler die Ware bzw. die Dienstleistung vor dem Versand bzw. der Bereitstellung an den Kunden kontrolliert. Diese Kontrolle ist insbesondere dann wahrscheinlich, wenn eins oder mehrere der folgenden Kriterien erfüllt sind:
- der Zwischenhändler kann frei über das Produkt bzw. die Dienstleistung verfügen
- der Zwischenhändler ist einem Bestandsrisiko (Inventory Risk) ausgesetzt
- der Zwischenhändler kann den Preis mindestens in Grenzen frei gestalten