Investment Thesis Noratis AG – Kapitalerhöhung zur weiteren Schuldentilgung in Sicht?

Inhalt

Die Noratis AG ist eine auf das “Flipping” von Wohnimmobilien spezialisierte Immobilien-AG und durch den unerwarteten Zinsanstieg in Bedrängnis geraten. Der Aktienkurs ist dem entsprechend inzwischen weit vom bisherigen Höchstkurs entfernet, sodass ich mich gefragt habe, ob sich hier eine gute Kaufgelegenheit ergeben könnte.

Im Folgenden lest ihr meine initiale Analyse zur Noratis-AG.


Executive Summary

Ausgangspunkt: Grundsätzlich günstige Bewertung des Immobilienportfolios

Die Noratis AG ist auf das “Flipping“ von Wohnimmobilien spezialisiert und hatte Stand November 2023 ca. 4.390 Wohneinheiten im Bestand.

Laut eines externen Wertgutachtens ist der Immobilienbestand aktuell günstig bewertet:

  • Der bilanzielle Wert der Immobilien beträgt Stand H1-2023 insgesamt 432 Mio. EUR sowie ca. 10 Mio. EUR für die als Finanzinvestition gehaltenen Immobilien („Investment Properties“) und ca. 10 Mio. EUR aus aktivierten Erbpachtverträgen… insgesamt ca. 452 Mio. EUR (21-fache Nettokaltmiete)
  • Der vom externen Gutachter ermittelte Wert beläuft sich nach steuerlichen Effekten auf ca. 495 Mio. EUR (24-fache NKM)
  • An der Börse waren die Immobilien Stand Ende November 2023 mit ca. 400 Mio. EUR bewertet.

Bezogen auf die einzelne Aktie bedeutet das Folgendes (Stand H1 2023: 4,818 Mio. ausstehende Aktien und Finanzverschuldung i.H.v. 392 Mio. EUR):

  • Buchwert ca. 17 EUR je Aktie
  • Gutachterwert ca. 26 EUR je Aktie
  • Börsenbewertung ca. 5-8 EUR je Aktie

In Konsequenz liegt also gefühlt erstmal eine substanzielle Unterbewertung vor (>300%).

Negatives Zinsumfeld: Negativer FFO / Cash Flow des Gesamtportfolios und ggf. Liquiditätskrise

Die aktuelle Unterbewertung kann im Wesentlichen auf zwei Ursachen zurückgeführt werden, die beide in Zusammenhang stehen mit den seit 2022 durch die EZB regelmäßig beschlossenen Leitzinssteigerungen:

  • Es gibt aktuell keinen funktionierenden Transaktionsmarkt für Wohnimmobilien, d.h. es ist für Noratis gerade schwierig, Objekte zu einigermaßen attraktiven Konditionen zu veräußern (in H2-2023 wurde bisher keine Transaktion bekanntgegeben)
  • Noratis hat seine Immobilien fast zu 100% variabel auf Basis des 3-Monats-Euribor finanziert, weshalb die Zinserhöhungen voll auf die GuV durchschlagen (von einem gewissen gehedgten Volumen einmal abgesehen)

In der Konsequenz erwirtschaftet das Bestandsportfolio annualisiert auf einmal einen negativen FFO / Cash Flow i.H.v. ca. 12 Mio. EUR, ohne durch regelmäßige Veräußerungserlöse aufgefangen zu werden (was eine negative Zinsdeckung (EBITDA bzw. EBIT / Zinsaufwand) impliziert.

Darüber hinaus hat Noratis eine relativ gleichmäßige Fälligkeitsstruktur der Finanzverbindlichkeiten. Bis Ende 2023 wird ein Schuldscheindarlehen i.H.v. 5 Mio. EUR zur Rückzahlung fällig sowie bis Ende 2025 die Anleihe i.H.v. 30 Mio. EUR, die aufgrund der voraussichtlich hohen Verzinsung einer neu zu begebenden Anleihe bzw. einer unbesicherten Bankfinanzierung vermutlich abgelöst werden muss.

Hieraus ergibt sich im Resultat ein Cash Bedarf bis Ende 2025 i.H.v. ca. 50-55 Mio. EUR.

Gegenmaßnahmen des Managements

Um dem Cash Burn kurzfristig entgegenzuwirken, hat das Management mehrere Gegenmaßnahmen eingeleitet bzw. teilweise bereits umgesetzt:

  • Ein Maßnahmenprogramm, welches neben dem Fokus auf Mietsteigerungen und der Reduzierung des Leerstands (aktuell bei ca. 9-10%) auch Einsparungen auf der Kostenseite vorsieht
  • Eine 5:2 Kapitalerhöhung (KE) mit Bezugsrecht (Größenordnung 8 Mio. EUR) für die bestehenden Aktionäre, um ein unmittelbar fälliges Schuldscheindarlehen zu tilgen (5 Mio. EUR) und darüber hinaus die Liquidität zu stärken (~3 Mio. EUR) sowie eine weitere KE (~2 Mio. EUR) – ausschließlich dem Großaktionär Merz Real Estate vorbehalten
  • Eine Ãœberprüfung des Portfolios mit Blick auf die kurzfristige Veräußerbarkeit einzelner Objekte

Eine überschlägige Bewertung der Maßnahmen führt zu folgenden Schlussfolgerungen:

  • Maßnahmenprogramm: Selbst bei Unterstellung einer konsequenten Umsetzung aller Erlös- und Kostenmaßnahmen wird der FFO / Cash Flow in 3-5 Jahren noch mit schätzungsweise 5 Mio. EUR negativ ausfallen
  • Kapitalerhöhung: Die Anfang Dezember 2023 bereits durchgeführte Kapitalerhöhung wird die Zinslast nur marginal mindern und die verbleibenden Barmittel darüber hinaus – bei ausbleibenden Veräußerungserlösen – durch den negativen FFO recht schnell aufgezehrt werden. Der Buchwert je Aktie hat sich durch die KE von ca. 17 auf 13,5 EUR je Aktie verringert, der Gutachterwert von 26 auf ca. 19 EUR je Aktie
  • Veräußerungen zur Liquiditätssicherung bzw. Schuldentilgung: Rationale Investoren wie Family Offices oder Pensionsfonds sind gegeben das aktuelle Zinsumfeld (~4%) voraussichtlich bestenfalls dazu bereit, eine Nettoanfangsrendite (NAR) i.H.v. 5,0% zu akzeptieren (äquivalent zu einer EK-Rendite von ca. 2,0-3,5%). Diese Rendite entspricht in etwa dem aktuellen Börsenkurs von Noratis und könnte daher zu einem weiteren Abwertungsbedarf auf der Bilanz führen. Darüber hinaus würden die durch die Veräußerungen ggf. eingesparten Zinszahlungen und Nebenkosten durch wegfallende Mieteinnahmen fast komplett kompensiert, sodass sich kein substanziell positiver Effekt auf den nachhaltigen Cash Flow einstellen würde

In Summe: Selbst zusammengenommen sind die Maßnahmen höchstwahrscheinlich nicht ausreichend, um das Bestandsportfolio in einem unverändert schwierigen Markt- und Zinsumfeld „positiv“ zu bekommen.

What else? Szenarien für einen Turnaround

In der Konsequenz gibt es zwei Szenarien für einen Turnaround, welche allerdings nur teilweise durch Noratis selbst beeinflusst werden können:

  • Eine kurz- bis mittelfristige Zinssenkung durch die EZB (ggf. in Kombination mit einer „kleinen“ Kapitalerhöhung zur Sicherstellung der Liquidität)
  • Eine „große“ Kapitalerhöhung unter Beteiligung des aktuellen oder eines neuen Ankerinvestors (bzw. ggf. ein Verkauf der Anteile durch den Mehrheitseigner Merz Real Estate)

Kurz- bis mittelfristige Zinssenkungen:

  • Erste Großbanken (u.a. Goldman Sachs und die Deutsche Bank) prognostizieren größere Zinssenkungen bereits für Frühjahr / Sommer 2024. Die Deutsche Bank geht dabei von einem Rückgang um 150 bp aus
  • Eine Zinssenkung in dieser Größenordnung würde einerseits die Zinszahlungen annualisiert um ~6 Mio. EUR verringern (und damit – die Umsetzung aller Maßnahmen vorausgesetzt – wieder zu einem positiven Cash Flow führen), andererseits aber auch wieder die Möglichkeit profitabler Veräußerungen ermöglichen, da die Mindestrenditen damit auf ca. 4,0-4,5% heruntergehen könnten (bei einem Zielreturn der Family Offices zwischen ca. ~3 und 5%)

Weitere Kapitalerhöhung(en):

  • Um das Geschäft unabhängig von der Zinsentwicklung nachhaltig stabil aufzustellen, wäre eine „große“ Kapitalerhöhung mit dem Ziel einer Schuldentilgung bzw. Bilanzbereinigung erforderlich. Eine solche Schuldentilgung könnte vermutlich nur von einem neuen Anker- oder Mehrheitsaktionär beigesteuert werden
  • Eine weitere „kleine“ Kapitalerhöhung im bisher bekannten Umfang von ~ +/- 10 Mio. EUR könnte helfen, den Liquiditätsengpass kurzfristig zu überwinden und die „Durststrecke“ bis zum Zeitpunkt einer messbaren Zinssenkung zu überbrücken (angewiesen wäre das Unternehmen auf diese aber nach wie vor). Aufgrund des weiterhin und auf absehbare Zeit niedrigen Kursniveaus hätte eine solche Kapitalerhöhung je nach Ausgestaltung ggf. einen stark verwässernden Effekt

Bringing it all together: Bewertungsszenarien und wesentliche Take Aways

Basierend auf einer Nettoanfangsrendite (NAR) von ~5 % und einer Gesamtmiete von 21 Mio. EUR ergibt sich aktuell ein realistisch erzielbarer Portfoliowert von ~420 Mio. EUR.

Nach Abzug der Nettoverschuldung von 362 Mio. EUR liegt der faire Wert des Eigenkapitals bei ca. 58 Mio. EUR, was einem Kurs von ca. 8 EUR je Aktie entspricht (Betrachtung nach Kapitalerhöhung).

Ein Investment in die Noratis-Aktie wäre aufgrund der hohen Verschuldung, des negativen Cash Flows und der Illiquidität dennoch sehr risikobehaftet.

Der Kauf der Noratis-Aktie wäre im Grunde genommen eine Wette… entweder auf zeitnah sinkende Zinsen oder eine Übernahme (in deren Zuge die Gesellschaft finanziell wieder stabil aufgestellt wird).


Situation Nov. 23: Grunds. günstige Bewertung des Immobilienportfolios

Noratis ist ein auf das “Flipping“ von Wohnimmobilien spezialisiertes Unternehmen und hatte Stand November 2023 ca. 4.390 Wohneinheiten im Bestand. „Flipping“ bedeutet im Wesentlichen, dass Noratis bestehende und renovierungsbedürftige Objekte aufkauft, ggf. leerzieht, renoviert, wiedervermietet und anschließend an andere Investoren oder auch Privateigentümer weiterveräußert.

Die 4.390 Einheiten haben eine Gesamtfläche von 290.000 m² und werden aufgrund des Geschäftsmodells größtenteils als Vorratsimmobilien im Umlaufvermögen der Bilanz ausgewiesen (Noratis reportet seit ein paar Jahren nach IFRS).

Die Immobilien werden vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Veräußerungsabsicht im Vorratsvermögen bilanziert und deshalb mit den fortgeführten Anschaffungskosten und nicht mit den Marktwerten bewertet, was zu erheblichen stillen Reserven führt. – Halbjahresbericht 2023

Grundsätzlich gibt es erstmal zwei verschiedene Bewertungsebenen, die wir betrachten können:

  • Den bilanziellen Wert der Immobilien (und der wenigen anderen Assets)
  • Den vom externen Gutachter erhobenen Wert der Immobilien

Der bilanzielle Wert der Immobilien beträgt insgesamt 432 Mio. EUR. Dazu kommen nochmal ca. 10 Mio. EUR für die als Finanzinvestition gehaltenen Immobilien („Investment Properties“) sowie ca. 10 Mio. EUR aus aktivierten Erbpachtverträgen. Wir sprechen hier also insgesamt über einen bilanziellen Wert der Immobilien von ca. 452 Mio. EUR.

Der vom externen Gutachter ermittelte Wert beläuft sich auf ca. 510 Mio. EUR, also nochmal ca. 60 Mio. EUR mehr, als der bilanzielle Wert… wobei dieser Aufschlag bei der Realisierung, also bei Verkauf oder Umklassifizierung auf der Bilanz, einmal als Gewinn verbucht und versteuert werden müsste. Eigentlich reden wir hier also „nur“ über ca. 495 Mio. EUR.

Wenn wir die regelmäßigen Veräußerungen einmal außen vorlassen, dann erwirtschaftet Noratis mit den Immobilien im Bestand aktuell jährliche Mieteinnahmen von ca. 31 Mio. EUR (Nettokaltmiete ca. 21 Mio. EUR, NK-Vorauszahlungen ca. 10 Mio. EUR). Hieraus ergeben sich die folgenden wesentlichen Kennzahlen:

Noratis bewertung Stand 30.06.2023
Abbildung 1: Kennzahlen Noratis AG; Quelle: Halbjahresfinanzbericht H1-2023

Der bilanzielle Wert beträgt umgerechnet 1.555 EUR/m² bzw. die ca. 21-fache Nettokaltmiete (entspricht einer Rendite von ~4,7%). Die Bewertung laut Gutachter liegt irgendwo in der Größenordnung von 1.750 EUR je m² bzw. der ca. 24-fachen Nettokaltmiete (Rendite ~4,1%). Dass die Bewertung in Bezug auf die Mieteinnahmen eher hoch und in Bezug auf die Gesamtfläche eher niedrig zu sein scheint, hat mit den relativ niedrigen Mietpreisen und dem gleichzeitig hohen Leerstand zu tun.

Die Durchschnittsmiete liegt aktuell bei nur ca. 6,0 EUR je m², der Leerstand bei über 9%… der Marktbewertung werden vermutlich leicht verbesserte Kennwerte zugrunde liegen (für die Bewertung der Investment Properties haben die Gutachter jedenfalls eine Nettokaltmiete von ca. 6,6 EUR je m² und einen Leerstand von 5,8% unterstellt).

Neben dem Immobilienvermögen hat Noratis noch ca. 11 Mio. EUR in Cash auf der Bank sowie ca. 20 Mio. EUR an Sachanlagen bzw. finanziellen und sonstigen Vermögenswerten (hauptsächlich Nutzungsrechte, Forderungen und Derivate zur Zinsabsicherung… wobei die Forderungen allerdings früher oder später an die Stadtwerke etc. weitergereicht werden müssen).

Den wesentlichen Vermögenswerten auf der Aktivseite der Bilanz (Immobilien + Cash, Derivate = ca. 483 Mio. EUR) stehen auf der Passivseite ca. 392 Mio. EUR an Finanzschulden und ca. 8 Mio. EUR an anderen kleineren Verbindlichkeiten gegenüber. Der Buchwert ergibt sich also etwas vereinfacht zu ~83 Mio. EUR (entspricht bei ca. 4,8 Mio. umlaufenden Aktien Stand Ende November 2023 einem Wert von ca. 17 EUR je Aktie). Die Nettoverschuldung – ich habe hier einmal das überschüssige Cash (+10 Mio. EUR) und die finanziellen Vermögenswerte (ebenfalls ~10 Mio. EUR) abgezogen – liegt also vereinfacht bei ca. 372 Mio. EUR.

Abbildung 2: Übersicht Bilanzstruktur Noratis zum 30.06.2023 [Mio. EUR]; Quelle: Halbjahresfinanzbericht H1-2023, eigene Berechnungen | 1. Inkl. operatives Cash (abgeschätzt zu 1 Mio. EUR)

Setzt man nun den Gutachterwert der Immobilien an und unterstellt eine Umklassifizierung aller Vorratsimmobilien als Investment Properties, dann ergibt sich ein fairer Wert von ca. 126 Mio. EUR bzw. ca. 26 EUR je Aktie.

Dieser Wert berücksichtigt bereits den Umstand, dass die Umklassifizierung der Vorratsimmobilien als Investment Properties (als Finanzinvestition gehaltene Immobilien) entsprechend IAS 40 über die GuV laufen und entsprechend versteuert werden müssen. Das Gleiche würde für einen Verkauf gelten. Die Berechnung hierzu sieht folgendermaßen aus:

Fairer Wert = Buchwert + realisierter Buchgewinn bei Umklassifizierung bzw. Aufwertung x (1 – Ertragsteuersatz) = 83 + ~59 x (1 – 27,4) = ~126 Mio. EUR

So… und was sagt nun der Kapitalmarkt zu dieser Bewertung? Die Börse bewertet das Eigenkapital des Unternehmens Stand 21.11.23 nur mit ca. 30 Mio. EUR bzw. ca. 6 EUR je Aktie. Umgerechnet in die oben aufgeführten spezifischen Kennwerte bedeutet das, dass wir die Immobilien an der Börse für ca. 400 Mio. EUR, das sind ca. 1.380 EUR je m² bzw. das ca. 19-fache der Kaltmiete (entspricht einer Bruttoanfangsrendite von ca. 5,2%), erwerben können… vorausgesetzt die anderen Assets (insbes. die finanziellen Vermögenswerte) sind entsprechend werthaltig:

Eingesetztes Kapital Noratis auf Basis verschiedener Bewertungslogiken H1-2023
Abbildung 3: Eingesetztes Kapital Noratis auf Basis verschiedener Bewertungslogiken [Mio. EUR]; Quelle: Halbjahresbericht Noratis H1-2023, eigene Annahmen

Nach Adam Riese ergibt sich also eine Unterbewertung i.H.v. ca. 95 Mio. EUR (oder Sicherheitsmarge von > 300%).

Die große Frage, die wir uns als Investoren also stellen müssen: Warum ist das so? Warum bewertet der Markt das EK des Unternehmens nur mit ~30 Mio. EUR, während sich auf Basis des externen Wertgutachtens ein Wert von mehr als 125 Mio. EUR ergibt?


Unattraktiver Markt und negativer Cash Flow im Bestandsportfolio

Um die Frage nach der niedrigen Börsenbewertung für uns selbst zu beantworten, müssen wir eine Ebene tiefer in das Geschäftsmodell, die aktuellen makroökonomischen Entwicklungen sowie auch die Unternehmenszahlen einsteigen.

Zunächst mal haben sich in den letzten Monaten und Jahren – durch Corona und durch den Ukraine-Konflikt – einige der wesentlichen Geschäftstreiber zum Negativen hin entwickelt:

  • Aufgrund der Energiekrise, der Lieferkettenproblematik und des Fachkräftemangels sind die Bau- bzw. Renovierungskosten im Immobiliensektor stark angestiegen
  • Um der Inflation entgegenzuwirken, hat die europäische Zentralbank den Leitzins von quasi Null im Sommer 2022 auf über 4% im Herbst 2023 angehoben (abzurufen z.B. bei der deutschen Bundesbank). Die Rendite für 10-jährige Staatsanleihen liegt aktuell bei ca. 2,5%
Entwicklung baukosten und Zins
Abbildung 4: Entwicklung Baukosten und Zinsen; Quelle: BBSR, Stat. Bundesamt, Deutsche Bundesbank (EZB-Zins), Investing.com (10-jährige Bundesanleihe)

Die erste und wesentlichste Folge dieser Veränderungen: Es gibt aktuell keinen funktionierenden Transaktionsmarkt für (Wohn-)Immobilien. Dies resultiert i.W. daraus, dass potenzielle Verkäufer nach wie vor an ihren Preisvorstellungen aus dem Jahr 2022 festhalten, gleichzeitig Kapitalanleger auf der Käuferseite aber mit viel höheren Zinsen kalkulieren müssen. Im Resultat sind die Transaktionen im Jahr 2023 im Vergleich zu den Vorjahren stark zurückgegangen.

Es liegt also irgendwo nahe, dass sich Noratis nun – jedenfalls für die nächste Zeit – eher als Bestandshalter (und nicht als „Flipper“) positionieren will. Der folgende Absatz stammt aus der Ad-hoc-Mitteilung vom 14.11.2023:

Angesichts des geänderten Marktumfeldes für Immobilientransaktionen soll zudem die Bestandshaltung von Immobilien durch die Noratis unter Einschluss entsprechender Kosteneinsparungen und Anpassungen der Unternehmensstrategie nunmehr stärker forciert werden. – Ad-hoc-Mitteilung Noratis, 14.11.2023

Zu diesem Zweck wurde im Laufe des Geschäftsjahres 2021 bereits ein kleiner Teil der Immobilien entsprechend in die Position „Als Finanzinvestition gehaltene Immobilien“ (Investment Properties) umklassifiziert. In dem Zuge wurde eine substanzielle Aufwertung der Assets vorgenommen (von ca. 6,7 auf jetzt noch 9,7 Mio. EUR). Darüber hinaus wurde mit dem Aufbau einer separaten Asset-Management-Abteilung zur Bewirtschaftung der langfristig gehaltenen Immobilien begonnen. Seitdem ist allerdings zugegebenermaßen in die Richtung nichts mehr passiert.

In dem Zusammenhang: Bzgl. möglicher zukünftiger Umklassifizierungen ist es noch wichtig zu erwähnen, dass diese an eine Reihe objektiver Kriterien geknüpft sind, die kumulativ erfüllt sein müssen (wobei ich diesbezüglich nicht 100%ig sicher bin, ob es sich um Vorgaben seitens IAS 40 oder um interne Vorgaben handelt):

  • Nachhaltige Mindesteigenkapitalrendite
  • Geplante Entwicklungsmaßnahmen weitgehend abgeschlossen
  • Geringe Asset Management Intensität
  • Langfristige Wertbeständigkeit
  • Erfüllung von ESG-Mindestanforderungen
  • Kurzfristig abzuschließende bzw. bereits abgeschlossene fristenkongruente langfristige Finanzierung (Umstellung von Projektfinanzierung auf langfristige Finanzierung)

Die zweite wesentliche Rückkopplung auf das Geschäft von Noratis hat mit dem Zinsanstieg zu tun. Aufgrund des bisher nicht auf Bestandshaltung, sondern auf zügigen Weiterverkauf ausgelegten Geschäftsmodells, handelt es sich bei den aktuellen Projektfinanzierungen fast ausschließlich um kurzfristige und variabel verzinsliche Darlehen.

Der größte Teil der Objektfinanzierungen ist auf Basis des Drei-Monats-Euribor abgeschlossen. Deshalb wirkt sich das gestiegene Zinsniveau direkt auf das Ergebnis aus. – Geschäftsbericht Noratis 2022

In 2022 konnte Noratis die ab dem zweiten Halbjahr ansteigenden Zinsen durch den Einsatz von Hedging-Instrumenten zwar fast noch ausgleichen. Im ersten Halbjahr 2023 lag der durchschnittliche Zins inkl. Gebühren allerdings bereits bei 4,57% (ein gegenläufiger Hedging-Effekt wurde diesmal nicht ausgewiesen, könnte aber zum Jahresende nochmal einen Teil der Zinslast kompensieren).


FFO- und Cash Flow Betrachtung

Was uns zur Betrachtung der Gewinn- und Verlustrechnung bzw. der Funds from Operations (FFO) bringt. In der folgenden Abbildung seht ihr einmal die vereinfachte (und normalisierte) Struktur der GuV (erstmal ohne Berücksichtigung der Verkaufserlöse):

Herleitung FFO Noratis H2-2023
Abbildung 5: Herleitung FFO Noratis [Mio. EUR]; Quelle: Halbjahresbericht Noratis H1-2023, Investorenpräsentation, eigene Berechnungen

Da die Immobilien entweder als Vorratsimmobilien (IAS 2) oder aber als Investment Properties (IAS 40) klassifiziert sind, enthält die GuV im Grunde keine planmäßigen Abschreibungen… die außerplanmäßigen Abschreibungen bzw. Wertberichtigungen (im letzten Halbjahr ca. 3 Mio. EUR) sowie auch mögliche Gewinne aus Aufwertungen nach IAS 40 habe ich einmal außen vorgelassen. Insofern sollte der dargestellte Nettogewinn in etwa deckungsgleich zum FFO sein, also dem Cash Flow aus der Vermietung und vor Berücksichtigung der Instandhaltungsinvestitionen.

Dazu kommen aus Cash-Sicht ggf. noch ~ 2 Mio. EUR für aktivierungspflichtige Instandhaltungsmaßnahmen („Maintenance CapEx“) sowie ggf. verpflichtende Tilgungszahlungen für die Baufinanzierungen (die genauen Vereinbarungen hierzu sind mir allerdings nicht bekannt, für die Ermittlung der Liquiditätslücke habe ich aber einmal mit ~3 Mio. EUR pa gerechnet).

Zu den aktivierungspflichtigen Instandhaltungsmaßnahmen („Maintenance CapEx“): Diese sind ganz allgemein in der FFO-Betrachtung noch gar nicht adressiert. Zum Vergleich: Die Vonovia reportet hier zusätzlich zu den ca. 12 EUR/m² Instandhaltungskosten, die als Aufwand verbucht werden, noch weitere ca. 7-10 EUR/m² an aktivierten Instandhaltungskosten, was bezogen auf die bewirtschaftete Gesamtfläche von Noratis nochmal etwa 2 Mio. EUR zusätzlich an Cash-Outflows bedeuten würde:

Als Aufwand verbuchte und aktivierte Instandhaltungskosten Vonovia
Abbildung 6: Als Aufwand verbuchte und aktivierte Instandhaltungskosten Vonovia [EUR/m²]; Quelle: Vonovia Geschäftsberichte | 1. Hochgerechnet auf Basis 9-Monats-Ergebnis

Der so genannte AFFO, also der FFO nach Berücksichtigung des Maintenance Capex läge dem entsprechend sogar irgendwo in der Größenordnung von -14 Mio. EUR.

Wie ihr seht, gibt es mutmaßlich ein größeres Problem:  Durch die Erhöhung der Zinslast erwirtschaftet das Immobilienportfolio für sich genommen weder ein positives Ergebnis noch einen positiven Cash Flow

In Summe fehlt zunächst mal schätzungsweise ein zweistelliger Millionenbetrag bis hin zur schwarzen Null… pro Jahr.


Substanzieller Liquiditätsbedarf in 2024 und 2025

Problem Nummer 1 ist, wie wir gesehen haben, dass Noratis als reiner Bestandshalter, d.h. ohne die Berücksichtigung regelmäßiger Objektveräußerungen, keinen positiven Cash Flow erwirtschaftet.
Darüber hinaus hat Noratis aber noch eine weitere Baustelle: Die Firma besitzt eine relativ gleichmäßige Fälligkeitsstruktur der Kredite. Bis Ende 2023 wird ein Schuldscheindarlehen i.H.v. 5 Mio. EUR zur Rückzahlung fällig sowie bis Ende 2025 eine der beiden Anleihen i.H.v. 30 Mio. EUR. Zusätzlich stehen in den nächsten zwei Jahren besicherte Kredite (Baufinanzierungen) i.H.v. ca. 100 Mio. EUR zur Refinanzierung an:

Fälligkeitsstruktur der Finanzschulden der Noratis AG zum 31.3.2023
Abbildung 7: Fälligkeitsstruktur der Finanzschulden zum 31.3.2023 [Mio. EUR]; Quelle: Investorpräsentation Noratis

Heißt mit anderen Worten: Es muss ggf. in den kommenden Monaten nicht nur ein negativer Cash Flow aus dem Bestandsportfolio kompensiert, sondern darüber hinaus auch noch Schulden in substanzieller Größenordnung abgelöst bzw. refinanziert werden.

In diesem Zusammenhang stellt sich also die folgende Frage: Welcher Teil der Schulden lässt sich einfach (und zu einigermaßen akzeptablen Konditionen) refinanzieren und welcher Teil muss eigentlich abgelöst werden?

Schauen wir und dafür die verschiedenen Finanzierungsformen einmal an:

Schuldschein: Der Ende 2023 fällige Schuldschein wurde mithilfe der im Rahmen der letzten Kapitalerhöhung eingesammelten Mittel bereits abgelöst (bzw. soll kurzfristig abgelöst werden). Insofern ergibt sich hieraus kein Problem.

Baufinanzierungen: Abzgl. des Schuldscheins und der Anleihen sollten ca. 347 der 392 Mio. EUR Finanzschulden über besicherte Baufinanzierungen abgedeckt sein. Bezogen auf den bilanziellen Wert der Immobilien würde das einem Beleihungsauslauf bzw. Loan-to-Value (LTV) von ca. 77% entsprechen… bezogen auf den Gutachterwert wären es ~70%.

Typischerweise finanziert eine Pfandbriefbank bzw. Sparkasse ca. 80% des so genannten Beleihungswerts (diese 80% nennt man auch die Beleihungsgrenze), wobei der Beleihungswert auf Basis des Ertrags- und Sachwertverfahrens ermittelt wird und ggf. auch unterhalb des Kaufpreises der Immobilie liegen kann. Wenn wir also einmal davon ausgehen, dass Beleihungswert und Kaufpreis im Falle von Noratis größtenteils identisch sind, dann sollte es mit der Refinanzierung der Immobilienkredite eigentlich keine größeren Probleme geben. Fraglich wäre allerdings die Sinnhaftigkeit einer langfristigeren Zinsfestschreibung auf dem aktuellen Niveau (denn mit einer solchen Maßnahme würde der negative Cash Flow im Bestand ggf. auf Jahre festgeschrieben).

Anleihen: Im Hinblick insbesondere auf die in 2025 zur Ablösung anstehende 30 Mio. EUR Anleihe könnte eine Refinanzierung vergleichsweise teuer werden. Zum einen sind die Immobilien schon zum größten Teil an die finanzierenden Banken verpfändet (d.h. die Anleihen i.W. unbesichert), zum anderen würde aus den typischen Leverage- und Coverage-Kennzahlen nur ein relativ schlechtes Credit Rating resultieren:

  • Leverage (Net Debt / EBITDA): ~60x ohne Berücksichtigung der Veräußerungsgewinne (bei Vonovia unter 20x)
  • Coverage (z.B. EBITDA / Zinsaufwand): <1x (bei Vonovia >2,5x)

Beides würde entsprechend der Standard & Poor’s Credit Rating Matrix auf ein hohes Finanzrisiko („Highly Leveraged“) hinauslaufen. Selbst bei Unterstellung eines sehr risikoarmen Geschäftsmodells (des Geschäftsmodells eines Bestandshalters) würde hier in keinem Fall ein Investment Grade Rating herausspringen.

Bei einer Neuemission mehr oder weniger „at par“, also relativ nah am Nennwert, und auf Basis der Credit Spread-Daten von Professor Damodaran müsste Noratis vermutlich einen recht hohen Risikoaufschlag auf den aktuellen risikolosen Zins mit vergleichbarer Laufzeit zahlen. Meine Vermutung wäre, dass wir hier schon in zweistellige Sphären landen könnten (sofern eine neue Anleihe im aktuellen Umfeld und auf Basis des aktuellen Zahlenwerks überhaupt platziert werden kann).

Diese Vermutung wird auch durch den aktuellen Kurs der 2025er Anleihe – Coupon 5,5% – gestützt. Diese wird am Markt zu ca. 90% des Nennwertes bewertet, was einer Rendite / einem Yield to Maturity (YTM) von ~12% pa entspricht.

Auch Sicht des Noratis-Managements kommt deshalb vermutlich nur eine Ablösung der Anleihe in Frage. Die Mittel hierfür müssten entweder aus dem operativen Cash Flow, über weitere Veräußerungen oder aber über eine Kapitalerhöhung eingespielt werden (in der Reihenfolge).
Um nun herauszuarbeiten, welche Maßnahmen zur Liquiditätssicherung in den kommenden ein, zwei Jahren aus der aktuellen Situation resultieren, müssen wir uns alle Effekte einmal in Summe ansehen.

In einem unveränderten Zinsumfeld würde das Bestandsportfolio aufgrund der hohen Zinslast pro Jahr zunächst einmal einen FFO von -12 Mio. EUR erwirtschaften. Dazu kämen ggf. noch Tilgungszahlungen und ~2 Mio. EUR an zu aktivierenden Instandhaltungsinvestitionen (wobei hier ggf. auch stark gekürzt werden könnte).

Gegenrechnen könnten wir die ca. 10 Mio. EUR an überschüssigen Barmitteln sowie ggf. die ca. 10 Mio. EUR Gegenwert der Hedging-Instrumente, deren Fälligkeitsdatum mit einer hohen Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten zwei Jahre liegen sollte.

Bedeutet also über ca. zweieinhalb Jahre (H2 2023, 2024 und 2025) einen negativen Cash Flow i.H.v. mindestens ca. 20-25 Mio. EUR.

Dazu kämen noch die 30 Mio. EUR für die Ablösung der Anleihe, sofern Noratis nicht vor dem Endfälligkeitsdatum günstiger am Markt zurückkauft (aktuell wird die 2025er Anleihe am Markt zu ca. 90% des Nennwertes bewertet… je weiter die Zeit voranschreitet, desto mehr wird sich der Kurs aber natürlich der 100%-Marke annähern).

In Summe sprechen wir hier über den Daumen also  insgesamt über ca. 50-55 Mio. EUR, die über Kosteneinsparungen, Veräußerungen von Objekten und / oder eine weitere Kapitalerhöhung hereingespielt werden müssten â€¦ sofern sich die Zinsen über die nächsten zwei Jahre nicht substanziell verändern.


Gegenmaßnahmen des Managements

Die Aussicht auf einen mindestens kurz- bis mittelfristig nachhaltig negativen Cash Flow wird im Grunde genommen auch vom Management gesehen. Im Geschäftsbericht 2022 heißt es da mit Blick auf die Positionierung als Bestandshalter:

Ziel ist es, bereits rein aus der Immobilienbewirtschaftung nachhaltig profitabel zu sein. Jedoch ist der Verkauf entwickelter Objekte dabei weiter Teil des Geschäftsmodells. – Geschäftsbericht Noratis 2022

Oder mit anderen Worten: Allein als Bestandsportfolio ist die Gesellschaft nicht profitabel. Darüber hinaus werden Erträge aus der Veräußerung auch weiterhin notwendig sein, um ein positives Ergebnis zu erzielen.

Dem entsprechend hat das Management i.W. bereits zwei größere Gegenmaßnahmen angekündigt bzw. eingeleitet (und teilweise bereits umgesetzt):

  1. Ein Programm zur Steigerung der Mieten, zur Verringerung des Leerstands und zur „Optimierung“ der Kostenbasis
  2. Die kurzfristige Sicherstellung der Liquidität über zwei Kapitalerhöhungen in der Größenordnung von insgesamt ~10 Mio. EUR

Schauen wir uns die Maßnahmen und die aggregierten Effekte einmal etwas mehr im Detail an.


Maßnahmenprogramm: Verbesserung der Marge im Bestand

Wie das Management entsprechend der Ad-hoc-Mitteilung bereits richtig erkannt hat, werden zunächst alle operativen Hebel adressiert werden müssen, um das Ergebnis zu verbessern. Folgende Maßnahmen könnten in diesem Zusammenhang angegangen werden (meine eigene Einschätzung):

Erlösseite: Aufbau eines Mietmanagements zur kontinuierlichen Überprüfung des Portfolios mit dem Ziel der regelmäßigen Steigerung der Mieteinnahmen (sagen wir mal im Durchschnitt um 3% pa). Gleichzeitig Verringerung des Leerstands um 50% (d.h. von ~10% auf ~5%). In Summe reden wir hier von ca. 3 Mio. EUR regelmäßige Mietsteigerungen über 5 Jahre sowie einen Hub aus der Vermietung von ca. 15.000 leerstehenden Wohnungen i.H.v. ca. 1 Mio. EUR (bei einer unterstellten Nettokaltmiete von ca. 6 EUR pro m²).

Direkt den Immobilien zuordenbare Kosten:

  • Umlagefähige Nebenkosten: Die umlagefähigen Kosten interessieren uns im Grunde nur am Rande, weil sie direkt an den Mieter weiterverrechnet werden können, allerdings ist eine „leane“ Aufstellung auch hier wichtig, um eine attraktive Gesamtmiete anbieten zu können (zu hohe Nebenkosten machen sich ansonsten irgendwann ggf. negativ bei der Kaltmiete bemerkbar)
  • Nicht umlagefähige Kosten: Die nicht umlagefähigen Nebenkosten – insbesondere handelt es sich hier um Instandhaltungskosten und die Verwaltungskosten für die lokalen (externen) Hausverwaltungen – können vermutlich nur zu einem geringen Teil adressiert werden. Auf die nötigen Instandhaltungen kann im Zweifel nicht verzichtet werden, der Aufbau einer eigenen Hausverwaltung (quasi die Internalisierung der Verwaltungskosten) erscheint bei dem noch kleinen und gleichzeitig regional sehr zersplitterten Portfolio kein wirklicher Werthebel zu sein (vermutlich eher im Gegenteil)

Indirekte Kosten / Zentralkosten:

  • Personalkosten: Der Personalaufwand beträgt aktuell auf Jahresbasis ca. 6 Mio. EUR (= 73 Mitarbeitende in Voll- und Teilzeit). Die Noratis AG deckt damit im Grunde die gesamte bisher relevante Wertschöpfungskette ab. Das heißt es gibt ein Einkaufsteam, eine technische und kaufmännische Entwicklungsabteilung, das Asset-Management und den Vertrieb. Dazu kommt das Top-Management sowie denke ich die Vergütungen des Aufsichtsrats. Ich würde sagen, dass hier eine Kostensenkung i.H.v. bestenfalls 20-30% zwar möglich zu sein scheint. Die Frage ist aber tatsächlich, auf welche Funktionen in Zukunft größtenteils verzichtet werden kann bzw. wo ggf. auch entgegenlaufende Personalaufbauten stattfinden müssten (z.B. Asset-Management). Gehen wir einmal optimistisch von einem Einsparpotenzial von 2 Mio. EUR aus (das wäre ein Drittel der aktuellen Kostenbasis!).
  • Sonstige betriebliche Aufwendungen: Hier geht es um ca. 4 Mio. EUR, die sich aus einer ganzen Reihe an Einzelpositionen zusammensetzen, u.a. Rechts- und Beratungskosten, Fremdleistungen, Werbung und IR, Versicherungen, Fuhrpark, etc. Auch hier würde ich deshalb einmal von maximal 1 Mio. EUR an Kosteneinsparungen ausgehen (entspricht ~25% der Kostenbasis).

Mit allen möglichen Verbesserungen ergibt sich – ausgehend von der oben dargestellten vereinfachten GuV- bzw. FFO-Rechnung – das folgende Bild:

Möglicher FFO nach Kostenverbesserungen Noratis AG
Abbildung 8: Möglicher FFO nach Kostenverbesserungen [Mio. EUR]; Quelle: Halbjahresbericht Noratis H1-2023, Investorenpräsentation, eigene Berechnungen

Wesentliche Erkenntnis: Ein nur auf die Bestandhaltung ausgerichtetes Geschäftsmodell würde selbst nach 100%iger Adressierung aller operativen Hebel in einem unveränderten Zinsumfeld innerhalb der nächsten 5 Jahre keinen nachhaltig positiven operativen Cash Flow erzielen können. Bei einer unterstellten Zinssenkung läge ein leicht positiver FFO jedenfalls theoretisch im Bereich des Möglichen (jedoch nach wie vor vor Berücksichtigung des Maintenance CapEx und der ggf. obligatorischen Tilgungszahlungen).

Hinzu kommt außerdem, dass im Zusammenhang mit der Verbesserung der Erlös- und Kostensituation typischerweise bestimmte Einmalkosten einhergehen, z.B.:

  • Investitionen in den Bestand zur Reduzierung des Leerstandes
  • Abfindungen an die freigesetzten Mitarbeitenden
  • Investitionen in digitale Tools und Prozesse, um Personaleinsparung überhaupt realisieren zu können
  • Etc.

5:2 Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht

Mit der Umsetzung der Erlös- und Kostenmaßnahmen adressiert Noratis natürlich nicht nur den nachhaltigen Cash Flow, sondern in Grenzen auch die kurzfristige Liquiditätsproblematik. Hierauf zielen i.W. auch die Anfang Dezember 2023 durchgeführten Kapitalerhöhungen ab.

Die Möglichkeit bzw. Erfordernis einer Kapitalerhöhung mit dem Ziel einer besseren Kapitalausstattung (heißt Liquidität) hat das Management bzw. der Aufsichtsrat bereits in der entsprechenden Ad-hoc-Mitteilung vom 14. November an den Kapitalmarkt kommuniziert.
Gehen wir aber nochmal einen Schritt zurück und schauen uns die Eigentümerstruktur vor der letzten Kapitalerhöhung und die Historie dazu etwas genauer an.

Zum Stichtag 31. Dezember 2022 waren ca. 4,818 Mio. Aktien der Noratis AG im Umlauf, von denen der größte Einzelaktionär, die Merz Real Estate GmbH & Co. KG, ca. 49,1% in Besitz hatte… gefolgt vom aktuellen CEO Igor Chr. Bugarski mit ca. 5,9%.

Merz Real Estate war im Zuge einer größeren Umschichtung des Kapitals im Jahr 2020 mit zunächst ca. 30% an Noratis eingestiegen und hatte ihren Anteil seitdem über zwei Kapitalerhöhungen (im März und im September 2020) sukzessive auf knapp unter 50% erhöht.

Beim Einstieg hatte sich Merz darüber hinaus im Rahmen einer Investoren- und Festbezugsvereinbarung zu Investitionen über Kapitalmaßnahmen i.H.v. bis zu 50 Mio. EUR bis Ende 2024 verpflichtet.

Von diesen 50 Mio. EUR wurden im Zuge der Kapitalerhöhungen im März und September 2020 bereits ca. 20 Mio. EUR für die weitere Wachstumsfinanzierung bereitgestellt.

Anfang Dezember 2023 wurde nun entsprechend der Ad-hoc-Mitteilung vom 14. November eine weitere Kapitelerhöhung mit einem Bezugsverhältnis von 5:2 und einem Ausgabepreis von 4,15 EUR je Aktie durchgeführt (je 5 Bestandsaktien hatte jeder Anteilseigner also die Möglichkeit, 2 der neu ausgegebenen Aktien zu erhalten). Merz Real Estate ist bei dieser Kapitalerhöhung nicht nur komplett mitgegangen, sondern hat darüber hinaus auch zugesagt, alle nicht ausgeübten Bezugsrechte notfalls selbst zu erwerben.

Weiterhin, und das war bis zur Ad-hoc-Mitteilung vom 11. Dezember 2023 nur aus dem Bezugsangebot zur Kapitalerhöhung ersichtlich, wurde im Anschluss an die erste Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht noch eine weitere Kapitalerhöhung ausschließlich für Merz Real Estate durchgeführt, im Zuge derer Merz nochmal ~452 Tsd. Aktien zu einem Kurs i.H.v. 4,43 EUR je Aktie erworben hat.

In diesem Zusammenhang auch wichtig: Mit diesen beiden Kapitalerhöhungen ist das genehmigte Kapital i.H.v. 2,409 Mio. Aktien entsprechend des HV-Beschlusses aus 2021 fast vollständig aufgebraucht. Jede weitere Kapitalerhöhung müsste also erstmal wieder mittels einer Erhöhung des genehmigten Kapitals durch einen Beschluss der Hauptversammlung ermöglicht werden (was frühestens im Sommer 2024 geschehen kann). Die Gesellschaft hat allerdings weiterhin die Möglichkeit ~2,168 Mio. neue Aktien im Rahmen der Begabe von Wandelanleihen auszugeben.

Nach Durchführung der beiden Kapitalerhöhungen Anfang Dezember hat die Noratis AG also nun ca. 7.197 Mio. Aktien im Umlauf. Die Anteilsverhältnisse sollten sich ungefähr entsprechend der folgenden Darstellung entwickelt haben:

Entwicklung der Anzahl umlaufender Aktien Noratis AG
Abbildung 9: Entwicklung der Anzahl umlaufender Aktien Noratis AG; Quelle: Pressemitteilungen Noratis AG, eigene Berechnungen / Schätzungen

Mit Durchführung der Kapitalerhöhung hat Merz Real Estate also die Mehrheit an der Noratis AG übernommen. Nach der Übernahme von ca. 191 Tsd. Aktien von CEO Bugarski (dieser hatte offenbar eine entsprechende Put Option) besitzt Merz nun insgesamt ca. 62% der Anteile und hat darüber hinaus ca. 29 der bis Ende 2024 avisierten 50 Mio. EUR bereits investiert… das ursprüngliche Investment sowie die Übernahme der Anteile vom CEO noch nicht mit eingerechnet:

Bisherige Kapitalbereitstellung von Merz Real Estate
Abbildung 10; Bisherige Kapitalbereitstellung von Merz Real Estate [Mio. EUR]; Quelle: Pressemitteilungen Noratis, eigene Berechnungen

Insgesamt sind der Gesellschaft durch die beiden Kapitalerhöhungen ca. 10 Mio. EUR an frischem Kapital zugeflossen:

Zugeflossenes Kapital = 4,818 Mio. Aktien x 2/5 x 4,15 EUR/Aktie + 0,452 Mio. Aktien x 4,43 EUR/Aktie = 1,927 Mio. neue Aktien x 4,15 EUR/Aktie + 0,452 Mio. Aktien x 4,43 EUR/Aktie = ~10,0 Mio. EUR

Von diesen ca. 10 Mio. EUR sollten ca. 5 Mio. EUR zur Tilgung des Ende 2023 fälligen Schuldscheindarlehens verwendet, der Rest soll „zur Stärkung der Liquidität“ (Ad-hoc-Mitteilung 14.11.23) eingesetzt werden.

Die Bilanz bzw. das eingesetzte Kapital sollte sich also dem entsprechend ungefähr folgendermaßen verändert haben:

Abbildung 11: Übersicht Bilanzstruktur Noratis zum 30.06.2023 [Mio. EUR]; Quelle: Halbjahresfinanzbericht H1-2023, eigene Berechnungen | 1. Inkl. operatives Cash (abgeschätzt zu 1 Mio. EUR)

Nach meinem Verständnis haben wir hier zwei sequenzielle Effekte:

  • Eine Bilanzverlängerung durch die Kapitalerhöhungen: +10 Mio. EUR Cash auf der Aktivseite sowie äquivalente Erhöhung des Eigenkapitals auf der Passivseite
  • Eine Bilanzverkürzung durch Tilgung des Schuldscheindarlehens: -5 Mio. EUR Cash auf der Aktivseite sowie äquivalente Verringerung der Finanzschulden auf der Passivseite

Die Bilanzsumme sollte sich im Resultat also leicht erhöht haben.

Klar ist allerdings auch: Die Zurückführung des Schuldscheindarlehens (Coupon 5,25%) wird die Zinslast nicht substanziell verringern. Der Effekt beträgt aufs Gesamtjahr gerechnet lediglich ~260 Tsd. EUR.


Aggregierte Effekte der Gegenmaßnahmen

Zusammengenommen lässt sich denke ich folgendes festhalten: Die Maßnahmen des Managements (Mietsteigerung, Kostenreduzierung, Kapitalerhöhung) gehen zwar absolut in die richtige Richtung, sind in Summe aber nicht ausreichend, um mit dem Portfolio nachhaltig einen positiven Cash Flow zu erzielen und den Kapitalbedarf bis Ende 2025 vollständig zu decken.

Je nach Zinsumfeld und Umsetzungsstand der Maßnahmen verbleibt wahrscheinlich ein Liquiditätsbedarf irgendwo in der Größenordnung zwischen 30 und 40 Mio. EUR bis Ende 2025:

Wahrscheinlicher Liquiditätsbedarf Noratis in Abhängigkeit vom Zinsumfeld und dem Erfolg der Erlös- und Kostenmaßnahmen
Abbildung 12: Wahrscheinlicher Liquiditätsbedarf in Abhängigkeit vom Zinsumfeld und dem Erfolg der Erlös- und Kostenmaßnahmen [Mio. EUR] | 1. Ab Frühjahr / Sommer 2024, 2. Ab Ende 2024; Quelle: Eigene Berechnungen

Kurz zur Erläuterung der Tabelle: Das oben links dargestellte Szenario (Liquiditätsbedarf bis Ende 2025 i.H.v. 50-55 Mio. EUR) geht aus vom Cash Flow im Status Quo und einem unveränderten Zinsumfeld. Der Wert kommt folgendermaßen zustande:

Liquiditätsbedarf = 2,5 Jahre x 17 Mio. EUR – 10 Mio. EUR Excess Cash – 10 Mio. EUR Hedging-Instrumente + 30 Mio. EUR Anleihe = ~50-55 Mio. EUR

Wenn wir uns von da aus nach unten bewegen, d.h. die Zinsen zunächst ab Frühjahr / Sommer 2024 um 150 Basispunkte verringern, dann hat das einen positiven Effekt bis Ende 2025 i.H.v. ca. 10 Mio. EUR.

Eine weitere Verringerung der Zinsen um 150 Basispunkte ab Anfang 2025 verringert den Liquiditätsbedarf um weitere ~6 Mio. EUR (eher unrealistisch nach heutigem Kenntnisstand).

Wenn wir uns anschließend die Effekte der Maßnahmen des Managements ansehen, dann können wir zunächst die noch verfügbaren Mittel aus der letzten Kapitalerhöhung (abzüglich der für die Rückzahlung des Schuldscheindarlehens vorgesehenen Mittel noch ~5 Mio. EUR) anrechnen.
Bzgl. der Umsetzung der Maßnahmen auf der Erlös- und Kostenseite sind denke ich zwei Aspekte relevant:

  • Die Umsetzung insbesondere der Mieterhöhungen wird Zeit brauchen und ggf. auch mit Kosten verbunden sein
  • Eine 100%ige Umsetzung / Realisierung der Potenziale bereits bis Ende 2025 könnte daher nicht realistisch sein

Mit dieser Begründung sollte ein realistischer Kapitalbedarf irgendwo in der Größenordnung zwischen 30 und 40 Mio. EUR über die nächsten ca. 2-2,5 Jahre liegen.

Und der FFO? Auch dieser wird auf Basis der aktuellen Annahmen (bestenfalls Zinssenkung um 150 Basispunkte und Unterstellung einer teilweisen Umsetzung der Maßnahmen) nicht nachhaltig positiv werden können (bedenkt wieder, dass hier die Mittelabflüsse für Maintenance CapEx und Tilgungszahlungen noch zusätzlich berücksichtigt werden müssen, sofern sie anfallen):

Nachhaltiger FFO Noratis  in Abhängigkeit vom Zinsumfeld und dem Erfolg der Erlös- und Kostenmaßnahmen
Abbildung 13: Nachhaltiger FFO in Abhängigkeit vom Zinsumfeld und dem Erfolg der Erlös- und Kostenmaßnahmen [Mio. EUR] | 1. Ab Frühjahr / Sommer 2024, 2. Ab Ende 2024; Quelle: Eigene Berechnungen

Wie das Management also bereits richtig erkannt hat, werden regelmäßige Veräußerungen auch zukünftig einen integralen Bestandteil des Geschäftsmodells von Noratis ausmachen müssen.
Schauen wir uns also einmal an, wie Immobilienpreise und Zinsen im Zusammenhang stehen und welche Veräußerungserlöse aktuell realistisch sein könnten… und vor allem: Welchen Effekt das auf die nachhaltig erzielbaren Cash Flows hat!


Weitere / beschleunigte Veräußerung von Immobilien

Wie gerade herausgearbeitet, werden regelmäßige Veräußerungen von Objekten auch weiterhin zum Geschäftsmodell von Noratis dazugehören (müssen). Mit einem ausschließlich auf die Bestandshaltung ausgerichteten Geschäftsmodell würde Noratis bei unverändertem Zinsumfeld keine nachhaltig positiven Ergebnisse bzw. Cash Flows erwirtschaften können.

Allerdings muss der Immobilienmarkt der Noratis AG erst einmal auch wieder positive Ergebnisbeiträge aus dem Verkauf ermöglichen… was bei einer Nettoanfangsrendite von maximal 4,7% für den Käufer der Fall wäre (dieser Wert entspricht der NAR bzw. dem bilanziellen Wert des Noratis-Portfolios). Schauen wir uns einmal an, unter welchen Umständen das wieder der Fall sein könnte.

Bevor wir uns nun etwas genauer mit der Mechanik der Preisfindung im Immobilienmarkt und den möglichen Verlaufserlösen in verschiedenen Zinsumfeldern beschäftigen, vielleicht noch zwei, drei etwas grundsätzlichere Punkte:

  1. Für die Deckung des unmittelbaren Liquiditätsbedarfs spielt ein attraktiver Return aus der Veräußerung nur eine untergeordnete Rolle (vorrangig ist hier zunächst mal das „Reinholen“ von Cash). Kurzfristig können bzw. müssen Veräußerungen deshalb auch im aktuell sehr ungünstigen Marktumfeld über die Bühne gebracht werden
  2. Es ist herauszuarbeiten, ob (und in welchem Maße) Erlöse aus Objektverkäufen auch für die Entschuldung des Unternehmens (also i.W. die Schuldentilgung) verwendet werden sollten
  3. Sofern die veräußerten Objekte nicht gerade leerstehen, beeinflussen die Veräußerungen mindestens die Top-Line (d.h. die Mieteinnahmen), ggf. sogar auch die Bottom-Line (d.h. den Gewinn) negativ

Vor diesem Hintergrund ist natürlich Immobilie nicht gleich Immobilie und es gilt genau abzuwägen, welches Objekt eigentlich ins Schaufenster gestellt werden sollte… und welches nicht. Für unprofitable Objekte lässt sich zwar kein besonders hoher Verkaufserlös erzielen, dafür belasten diese nach der Veräußerung allerdings auch nicht mehr die Bottom-Line… ihr versteht die Logik. In der Regel wird erfahrungsgemäß trotzdem eher das Tafelsilber veräußert.


Aktuelles Zinsumfeld: Family Offices als potenzielle Käufer?

In einem aktuellen Artikel schreibt das Handelsblatt unter Bezugnahme auf Umfragen von ImmoScout24, dass potenzielle Käufer – aktuell insbesondere Family Offices – inzwischen mit Mietrenditen (also Mieteinnahmen / Kaufpreis inkl. Kaufnebenkosten) i.H.v. ca. 5% gut kalkulieren können bzw. kalkulieren. Gleichzeitig – und das steht ebenfalls im Artikel – gehen Marktteilnehmer davon aus, dass sich die Zinsen für eine Baufinanzierung in der nächsten Zeit bei ca. 4% einpendeln könnten, also wieder leicht zurückgehen.

Eine Rendite von 5% würde übrigens bei Noratis noch einen gewissen Bedarf für eine weitere Wertberichtigung aufzeigen… wie gesagt ist das Portfolio entsprechend Bilanz aktuell mit einer Mietrendite von ca. 4,7% bewertet (der ca. 21-fachen Nettokaltmiete).

Da wir denke ich davon ausgehen können, dass Family Offices generell sehr rational an ihre Kapitalallokation herangehen, habe ich einmal versucht, mich dem ganzen Thema Bottom-up und auf Basis der vorhandenen Daten und Fakten zu nähern.

Ein Family Office fragt sich vor einem Kauf natürlich insbesondere, welche Rendite es bei den gegebenen Marktbedingungen (Mietrendite i.H.v. 5%, Zinsen i.H.v. 4%) auf sein eingesetztes Eigenkapital (EK-Rendite) erzielen kann. Und vor allem auch: Wie viel Eigenkapital es beisteuern muss, um mindestens noch einen positiven Cash Flow zu erzielen.

Ich habe diese Logik nun einmal auf das durchschnittliche Portfolio von Noratis übertragen und dabei unterstellt, dass ein potenzieller Käufer für ein einzelnes Objekt keine zusätzlichen Ressourcen (Personal etc.) aufbauen muss bzw. dass die örtliche Hausverwaltung alles abdecken kann.

Da für die Illustration i.W. nur die Relationen der einzelnen Kenngrößen zueinander wichtig sind und nicht so sehr die absoluten Größenordnungen, bleiben wir einmal beim Gesamtportfolio von Noratis. Ein Family Office als potenzieller Käufer des Portfolios würde also im aktuellen Marktumfeld mit den folgenden Kennwerten kalkulieren:

  • Kaufpreis inkl. Kaufnebenkosten: 420 Mio. EUR (= 21 Mio. Mieteinnahmen x 20-fache Miete – entspricht einer NAR von 5%)
  • Cash Flow vor Zinsen, Steuern und Tilgung: Zunächst ca. 16 Mio. EUR (= 21 Mio. EUR Mieteinnahmen abzüglich 5 Mio. EUR nicht umlegbare Kosten… alles andere fällt weg), nach Optimierung der Mieten und der Adressierung des Leerstands ca. 20 Mio. EUR

Wenn nun die wesentliche Grundvoraussetzung für ein Family Office erstmal darin besteht, dass das potenzielle Investment einen positiven Cash Flow erwirtschaftet, dann bedeutet das, dass mit dem oben ermittelten aktuellen Cash Flow i.H.v. ~16 Mio. EUR im Grunde alle Zins- und Steuerzahlungen sowie auch die Mindesttilgung i.H.v. sagen wir mal 1% abgedeckt werden müssen. Wir sehen also direkt, dass das bei einer 100% Finanzierung nicht funktionieren würde (in diesem Fall lägen allein die Zinszahlungen bereits oberhalb der Marke von 16 Mio. EUR).

Der folgenden Tabelle könnt ihr einmal entnehmen, welche EK-Rendite ein Family Office bei verschiedenen Finanzierungsstrukturen erzielen könnte. Vereinfachend habe ich einmal unterstellt, dass die Höhe der Zinsen nicht vom EK-Anteil abhängt (was natürlich eine gewisse Vereinfachung darstellt).

Abbildung 14: Erzielbarer Return für Family Office bei verschiedenen EK-Anteilen [%]; Quelle: Eigene Berechnungen

Wie ihr sehen könnt, wird der Cash Flow nach Abzug der Mindesttilgung i.H.v. 1% bei einem EK-Anteil von ca. 30% positiv. Der Gesamtreturn bewegt sich irgendwo in der Größenordnung von 3,4%. Ein Wert, der sich mit zunehmendem Eigenkapital auch nicht weiter verbessert, für Family Offices und Pensionsfonds allerdings ggf. bereits eine akzeptable EK-Rendite für eine mutmaßlich sichere Anlageform darstellen könnte. Weniger würde aus meiner Sicht aber vermutlich kein noch so konservativer und sicherheitsorientierter Investor für ein Immobilieninvestment akzeptieren.

Nach Optimierung der Mieteinnahmen und damit des Cash Flows um ca. 4 Mio. EUR sähe das Ganze dann zwar schon etwas besser aus. Allerdings wäre in dem Fall noch zu klären, ob das Family Office dieses Steigerungspotenzial beim Ankauf unter Umständen nicht direkt mitbezahlen müsste – ceteris paribus wären das dann 80 Mio. EUR mehr an Kaufpreis – oder ob ein Bestandshalter eine Immobilie mit einem solchen Wertsteigerungspotenzial im aktuellen Umfeld überhaupt veräußern würde.


Die letzten Veräußerungen von Noratis

Ihr fragt euch nun bestimmt, wie in diesem Zusammenhang die profitablen Verkäufe der Noratis AG im letzten Halbjahr zu bewerten sind. Noratis hatte ja im H1-2023 mit Veräußerungen immerhin ein positives Ergebnis aus der Veräußerung i.H.v. ca. 3 Mio. EUR erzielt (äquivalent zu einer Marge i.H.v. ~19%).

Was vielleicht zunächst eine Erwähnung wert wäre: Im Vergleich zu den Veräußerungen der Vorjahre, konnten die letzten Veräußerungen nur zu einem weit niedrigeren Quadratmeterpreis durchgeführt werden (~1.450 EUR je m² versus ~1.860 bis 2.740 EUR/m² in den Vorjahren):

Abbildung 15: Durchschnittliche Kaus- und Verkaufspreise in Relation zum Bilanzwert; Quelle: Noratis Geschäftsberichte und Investorpräsentation, eigene Berechnungen

Damit liegt der aktuelle Verkauf – jedenfalls was den Quadratmeterpreis angeht – sogar knapp unterhalb des durchschnittlichen Bilanzwertes des Noratis-Portfolios (das ist die in orange gestrichelte Linie). Der unattraktive Markt ist also schon zu spüren.

Disclaimer: Die Quadratmeterpreise der ge- und verkauften Immobilien werden zwar von Noratis nicht direkt veröffentlicht. Mit den vorhandenen Informationen zu den Verkäufen und zum Bestandsportfolio lassen sich diese aber ganz gut annähern… so gut jedenfalls, dass ich mich traue, das Chart hier zu zeigen. Falls es euch interessiert: Ich habe den Researchprozess zu diesem Thema nochmal in einem kurzen, separaten Artikel verarbeitet.

Was bedeutet in diesem Fall also nun der Ausweis einer positiven Verkaufsmarge i.H.v. 19%? Im Grunde genommen erstmal nur, dass der Buchwert dieser ganz spezifischen veräußerten Objekte nochmal um ca. 20% unterhalb des durchschnittlichen Buchwerts aller Objekte der Noratis gelegen hat:

Abbildung 16: Schematische Darstellung der Immobilienwerte

Nach dem Verkauf sollte der durchschnittliche Buchwert der verbleibenden Objekte dann ceteris paribus dem entsprechend leicht ansteigen.


Firesale zur Schuldentilgung? Erforderlich und sinnvoll?

Einmal ganz davon abgesehen, ob mit einem Verkauf unmittelbar ein positiver Ergebnisbeitrag ausgewiesen werden kann, interessiert uns aufgrund der hohen Zinslast ja insbesondere der Cash-Effekt der veräußerten Objekte und die resultierende Veränderung der Bottom-Line bzw. des FFO (mit oder ohne Schuldentilgung).

Schauen wir uns also einmal an, was genau bei einem Verkauf passiert bzw. wie sich die Effekte größenordnungsmäßig abschätzen lassen (für ein generelles Verständnis der Accounting-Effekte von Assetverkäufen schaut euch mal den entsprechenden Knowledge-Artikel hier auf DIY Investor an).

Nachhaltige Effekte auf die GuV / den FFO bei unterstellter Verwendung der Mittelzuflüsse zur Schuldentilgung:

  • Für die Folgejahre nach dem Verkauf gehen konsequenterweise die Mieteinnahmen, aber auch die zugehörigen direkt zurechenbaren Kosten (Betriebskosten) entsprechend zurück
  • Gleiches gilt aufgrund der vorgenommenen Schuldentilgung auch für die Zinszahlungen

Wichtig für den resultierenden Gesamteffekt ist vor allem eines:  Aufgrund der quasi durch den Markt vorgegebenen Relationen zwischen Anfangsrendite und Zinsniveau sollten bei einem Assetverkauf – in den meisten Fällen – mehr Mieteinnahmen verloren gehen, als durch eine resultierende Schuldentilgung an Zinsen eingespart werden können.  Ich versuche diesen ganz wesentlichen Punkt einmal kurz an drei fiktiven Verkaufsszenarien zu illustrieren.

Nehmen wir einmal an, Noratis wollte mit dem Ziel einer Schuldentilgung im kommenden Geschäftsjahr irgendwas zwischen 300 und 900 Wohnungen veräußern. Wir wissen nun bereits, dass der Markt hierfür – sofern die Wohnungen nicht gerade leerstehen – in etwa eine Rendite von 5% inkl. Nebenkosten zu zahlen bereit ist.

Am einfachsten ist es deshalb aus meiner Sicht, für eine grobe Abschätzung wieder vom durchschnittlichen Noratis-Portfolio auszugehen: Dieses wird ja laut Bilanz zu einem Quadratmeterpreis von ca. 1555 EUR und mit einem Vervielfältiger von 21 bewertet (was laut Handelsblatt-Artikel in etwa der akzeptablen Rendite eines Family Office i.H.v. 5% entspricht).

Nach dieser Logik hätten 300 Einheiten im Durchschnitt eine Gesamtfläche von ca. 20.000 m², wofür am Markt ein Kaufpreis von ca. 31 Mio. EUR erzielt werden könnte. Werden diese 31 Mio. EUR direkt zur Schuldentilgung eingesetzt, dann ließen sich damit bei einem Zinssatz von ca. 4% Zinszahlungen i.H.v. ungefähr 1,2 Mio. EUR einsparen (= 31 Mio. EUR x 4%). Gleichzeitig würden allerdings Mieteinnahmen i.H.v. ca. 1,5 Mio. EUR verloren gehen (= ca. 5% Rendite für den Käufer). Klar gibt es noch kleinere positive Effekte aus dem Wegfall der Verwaltungs- und Instandhaltungskosten etc. Diese fallen allerdings im Großen und Ganzen nicht so sehr ins Gewicht. Wie ihr der folgenden Aufstellung entnehmen könnt, verändert sich das Bild auch mit weiteren Veräußerungen nicht grundlegend:

Abbildung 17: Effekte verschiedener Veräußerungsszenarien mit unterstellter Schuldentilgung

Der Effekt auf den Gesamt-FFO ist verschwindend gering. Daran würde aus meiner Sicht auch die ein oder andere attraktivere Veräußerung, z.B. zu einer Anfangsrendite von 4% oder 3% nichts ändern… im größeren Stil wird das unter den aktuellen Marktbedingungen allerdings kaum möglich sein. Und gegeben den Liquiditätsbedarf von schätzungsweise 30-40 Mio. EUR bis Ende 2025 wäre eine Nutzung zur Schuldentilgung auch nicht zielführend.


Veräußerungen zur Liquiditätssicherung

Das Problem mit den wegfallenden Mieteinnahmen gibt es natürlich auch, wenn die Verkaufserlöse nicht zur Schuldentilgung, sondern zur Schließung der Liquiditätslücke verwendet werden.

Im Grunde kann man es folgendermaßen ausdrücken: Das Geschäftsmodell von Noratis ist auf Wohl und Wehe von einem funktionierenden Transaktionsmarkt abhängig… und zwar einem Transaktionsmarkt, der Noratis das Erzielen von Verkaufserlösen oberhalb des Buchwertes erlaubt.

Die einzigen attraktiven Verkaufsoptionen bestünden demnach in der Veräußerung leerstehender Einheiten an Privatpersonen bzw. Eigennutzer. Hier wäre einerseits die Zahlungsbereitschaft höher. Gleichzeitig würden Noratis keine Mieteinnahmen verloren gehen. Andererseits wäre diese Strategie allerdings bei einem Leerstand i.H.v. ca. 9-10% auf maximal ~400 Einheiten bzw. 30.000 m² Wohnfläche begrenzt. Realistisch kann – aufgrund des ggf. vorhandenen Renovierungsbedarfs – vermutlich eher von einem Potenzial in der Größenordnung von ~200 Einheiten bzw. 15.000 m² Wohnfläche ausgegangen werden.

Meine Schlussfolgerung deshalb:  Mir einem beschleunigten Verkauf weiterer Immobilien („Firesale“) ließe sich das verbleibende Bestandsportfolio zwar nicht ohne Weiteres ins Positive drehen. Verkaufserlöse in einer gewissen Größenordnung werden vermutlich allerdings schon erzielbar sein. 

Ein Verkauf von ~200 leerstehenden Einheiten zum durchschnittlichen Buchwert des Portfolios beispielsweise würde größenordnungsmäßig zu einem Cash-Inflow i.H.v. ca. 20-25 Mio. EUR führen… ohne gleichzeitige Einbußen bei den Mieteinkünften.


Effekt einer möglichen Zinssenkung auf die Immobilienpreise

Eine Zinssenkung – sollte sie denn kommen – hätte allerdings vermutlich noch einen weiteren positiven Nebeneffekt: Die Immobilienpreise würden wieder steigen bzw. die Käufer aufgrund der verbesserten Finanzierungskonditionen eine geringere Einstandsrendite akzeptieren können.
Im folgenden Schaubild seht ihr einmal die erzielbare Eigenkapitalrendite für ein Family Office oder einen Pensionsfonds unterstellt einen FK-Zins i.H.v. 3,0%:

Abbildung 18: Erzielbare EK-Rendite (NAR 4,5%, Zins 3,0%) [%]; Quelle: Eigene Berechnungen

In einem verbesserten Zinsumfeld und bei einem Eigenkapitaleinsatz von 10-20% könnte ein Family Office als Käufer mit einer Anfangsrendite von 4,5% (inkl. Kaufnebenkosten) bereits eine Rendite i.H.v. ~5-7% pa aufs Eigenkapital erzielen. Bei einer Anfangsrendite von 4,0% läge der Return der Family Offices immerhin noch irgendwo zwischen 3,0 und 3,5%.

Mit Preissteigerungen in dieser Größenordnung ließen sich also auch für Noratis über das gesamte Portfolio im Durchschnitt wieder positive Veräußerungsergebnisse erwirtschaften… welche auch nötig sind, um die sozusagen „unterhalb“ des FFO ggf. noch anfallenden Mittelabflüsse (Maintenance CapEx und Mindesttilgung) zu kompensieren.


What else? Szenarien für den Turnaround

Was aus den bisherigen Analysen denke ich klar ersichtlich wird: Selbst bei aggressiver Umsetzung aller Maßnahmen (inkl. der Maßnahmen auf der Erlösseite) ist ein nachhaltig positiver FFO bei einem konstanten FK-Zins i.H.v. 4,5% mittelfristig nicht erreichbar. Darüber hinaus können Veräußerungen ca. zum Buchwert (denn so bewertet der Markt aktuell) bestenfalls zur Liquiditätssicherung, nicht aber zur nachhaltigen Entschuldung verwendet werden (Grund sind i.W. die ebenfalls wegfallenden Mieteinnahmen).

Um einen nachhaltigen Turnaround des Geschäfts dennoch zu bewerkstelligen, ergeben sich i.W. zwei Möglichkeiten:

  • Szenario 1: Eine baldige und substanzielle Zinssenkung durch die EZB ggf. unterstützt durch eine „kleine“ Kapitalerhöhung zur Sicherung der Liquidität im Zeitablauf (durch Noratis nicht bzw. nur teilweise beeinflussbar)
  • Szenario 2: Eine größere Kapitalerhöhung mit Merz Real Estate oder einem anderen Player als Ankerinvestor (durch Noratis bzw. die Anteilseigner beeinflussbar)

Szenario 1: Kurzfristige Zinssenkung durch die EZB

Für die Ermittlung des nachhaltigen Cash Flows und auch des Liquiditätsbedarfs sind wir bisher von einem i.W. unveränderten Zinsumfeld ausgegangen.

Nun ist es aber so, dass viele Banken inzwischen aufgrund der zurückgehenden Inflation und der drohenden Rezession bereits für Frühjahr / Sommer 2024 größere Zinsanpassungen prognostizieren.
Die Deutsche Bank beispielsweise geht analog einer aktuellen Reuters-Meldung von einer Zinssenkung bis April nächsten Jahres in der Größenordnung von 150 bp (also 1,5%) aus:

Abbildung 19: Reuters Meldung zur Zinsprognose der Deutschen Bank (6.12.2023)

Sinkende Leitzinsen (und in der Folge auch sinkende Bauzinsen) hätten im Grunde gleich mehrere Effekte:

  1. Der negative FFO von Noratis würde sich wieder normalisieren und der Liquiditätsbedarf für die kommenden Jahre entsprechend sinken
  2. Die Immobilienpreise würden wieder ansteigen und der Markt auch für Noratis dann wieder leichter adressierbar werden

Bei der aktuellen Verschuldung von Noratis würde eine Zinsänderung von ~4,6% auf sagen wir mal ~3,0% zu einer Senkung der Zinslast i.H.v. 6 Mio. EUR führen (dabei habe ich unterstellt, dass das Schuldscheindarlehen wie angekündigt mithilfe der Mittel aus der Kapitalerhöhung bereits abgelöst wurde):

Abbildung 20: Effekt veränderter Zinssätze auf die Zinszahlungen von Noratis; Quelle: Eigene Berechnungen

Ausgehend vom weiter oben bereits dargestellten FFO nach Verbesserungsmaßnahmen (100%ige Umsetzung) würde sich der FFO tatsächlich leicht ins Positive drehen:

FFO Noratis nach Maßnahmen und bei Annahme eines verbesserten Zinsumfelds
Abbildung 21: FFO nach Maßnahmen und bei Annahme eines verbesserten Zinsumfelds (Zinsreduktion auf 3%) [Mio. EUR]; Quelle: Halbjahresbericht Noratis H1-2023, Investorenpräsentation, eigene Berechnungen

Darüber hinaus aber auch hier wieder der Hinweis: Die Auszahlungen für zu aktivierende Investitionen (auf Basis der Zahlen von Vonovia schätzungsweise 2 Mio. EUR) sowie auch die in den Baufinanzierungen hinterlegten Mindesttilgungen (unterstellt eine Mindesttilgung i.H.v. 1% für alle besicherten Darlehen wären das mind. 3 bis 4 Mio. EUR) sind in der FFO-Betrachtung noch nicht enthalten und müssten ggf. noch zusätzlich berücksichtigt werden.

Auch der Liquiditätsbedarf für die kommenden zwei Jahre wäre nach wie vor substanziell. Zwar reden wir in diesem Szenario nicht mehr über 50-55 Mio. EUR über 2 ½ Jahre, sondern vielleicht „nur“ noch über 25-35 Mio. EUR… je nach Umsetzung der Mietsteigerungs- und Kostensenkungsmaßnahmen sowie der Höhe des Instandhaltungs-Invest und davon ausgehend, dass die Anleihe am Kreditmarkt nicht refinanziert werden kann.

Auch dieser Betrag muss aber natürlich erstmal aufgebracht werden… wofür sich die bereits angesprochene „kleine“ Kapitalerhöhung anbietet.

Dieses Szenario, welches i.W. einer „Wait-and-see“-Taktik entspricht, scheint das – im Vergleich zur gleich folgenden „großen“ Kapitalerhöhung bzw. Entschuldung – wahrscheinlichere und auch sinnvollere Szenario zu sein.

Denn: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Zinsen auf absehbare Zeit wieder sinken werden, ist nach jetziger Einschätzung substanziell höher als 50%.


Szenario 2: Die „große“ Kapitalerhöhung / Entschuldung

In Bezug auf den Umfang einer „großen“ Kapitalerhöhung mit dem Ziel einer ausreichenden Entschuldung des Unternehmens muss i.W. die folgende Frage beantwortet werden: Wie hoch müsste diese Kapitalerhöhung eigentlich ausfallen, um das neue Geschäftsmodell „Bestandshalter“ im aktuellen Umfeld „Cash Flow positiv“ zu machen?

Einfach überschlagen können wir das einmal folgendermaßen: Um im durchoptimierten Zustand (heißt mit einem Ergebnis vor Zinsen und Steuern in der Größenordnung von ~10-13 Mio. EUR abzgl. Maintenance CapEx i.H.v. ~2 Mio. EUR) einen komfortabel positiven Cash Flow generieren zu können, müssten die Zinszahlungen um mindestens 6-8 Mio. EUR reduziert werden (also von aktuell 18 Mio. EUR auf ~10 bis 12 Mio. EUR).

Bei einem unterstellten FK-Zins von 4% wäre dafür eine Kapitalinfusion in der Größenordnung von 150 bis 200 Mio. EUR von Nöten, was schlussendlich zu einem EK-Anteil von grob 35-50% führen würde.

Dies ist eine Größenordnung, die gegeben die verbleibende Verpflichtung von Merz Real Estate i.H.v. ~20-25 Mio. EUR bis Ende 2024 und mit den bestehenden Aktionären an Bord nicht nur sehr unwahrscheinlich zu sein scheint, sondern sogar eher auf die Hereinnahme eines neuen Ankerinvestors bzw. Mehrheitseigners hindeutet (starke Verwässerung der bestehenden Anteile inklusive).

Mit der Aussicht auf mittelfristige Zinssenkungen wäre diese Variante aus Sicht der aktuellen Aktionäre (inkl. Merz) vermutlich eher als Ultima Ratio anzusehen (falls überhaupt umsetzbar).


Bringing it all together: Bewertungsszenarien und wesentliche Take Aways

Was bedeutet das Ganze nun für unsere Investment-Entscheidung bzgl. der Noratis-Aktie?
Grundsätzlich können Immobilienportfolios auf verschiedene Arten und Weisen bewertet werden.
Wie oben bereits angedeutet, nutzen Gutachter oft das Ertragswertverfahren (also im Grunde genommen eine Discounted Cash Flow-Betrachtung). Darüber hinaus könnte ein Multiple-Ansatz, z.B. auf Grundlage des FFO oder der Nettokaltmiete, in Frage kommen.

Da Noratis als reiner Bestandshalter selbst in einem verbesserten Zinsumfeld nicht zwangsläufig profitabel agieren kann und deshalb regelmäßige Veräußerungen nach wie vor zum Geschäftsmodell dazugehören müssen, bietet sich eine Bewertung auf Basis der erzielbaren Marktwerte im Verkauf an… im Grunde stellt dies allerdings auch nur ein Derivat der oben genannten Bewertungsmethoden dar.

Nehmen wir – um konsistent zu den vorherigen Kapiteln zu bleiben – einmal die Nettoanfangsrendite (NAR) als Bewertungsinstrument. Wenn wir einmal auf ein Zinsniveau von 4% abstellen, dann sollte, wie bereits abgeleitet, eine Anfangsrendite i.H.v. ca. 5% (d.h. ein Mietmultiple in Höhe der ca. 20-fachen Kaltmiete) die absolute Obergrenze darstellen, zu der das Portfolio verkauft werden könnte.
Bei einer Gesamtmiete von ca. 21 Mio. EUR würde das einer Portfoliobewertung von ca. 420 Mio. EUR entsprechen. Abzüglich Nettoverschuldung (387 Mio. EUR abzgl. 25 Mio. EUR überschüssiger Barmittel) wären das insgesamt ~58 Mio. EUR, was bei 7,197 Mio. umlaufenden Aktien (post-Kapitalerhöhung) einem fairen Aktienkurs von ca. 8 EUR je Aktie entsprechen sollte:

Bewertungslogik Noratis AG
Abbildung 22: Bewertungslogik Noratis AG

Nun ist es allerdings so, dass ein fairer Immobilienwert i.H.v. 8 EUR je Aktie noch nicht zwangsläufig bedeutet, dass man auch in die Aktie investieren sollte. Tatsächlich würde man nämlich in die sehr illiquide Aktie eines hoch verschuldeten Unternehmens mit negativem laufenden Cash Flow investieren!

Dem entsprechend kann man die Handlungsempfehlung kurz und knapp glaub ich in etwa so zusammenfassen: Ganz unabhängig davon, ob man an den gerade abgeleiteten Immobilienwert von 420 Mio. EUR oder den durch den Gutachter ermittelten Wert i.H.v. 495 Mio. EUR glaubt. Ein Investment in die Aktie von Noratis würde zum jetzigen Zeitpunkt eher einer Wette bzw. einer Spekulation als einem auf Basis der Fundamentaldaten abgeleiteten Investment entsprechen… und zwar entweder einer Wette auf zeitnahe und substanzielle Zinssenkungen seitens der EZB oder aber auf einen neuen Mehrheitsaktionär, der sowohl gewillt ist, die Gesellschaft wieder ausreichend zu kapitalisieren, als auch ein attraktives Premium auf den aktuellen Börsenkurs an die bestehenden Aktionäre zu zahlen (und zwar auch an die Kleinaktionäre).

Beides ist zum jetzigen Zeitpunkt hochgradig ungewiss.


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