Mosaik Research am Beispiel Noratis

Beispiel für “Mosaik”-Research: Durchschnittliche Verkaufserlöse der Noratis AG (2023)

Mosaik Research am Beispiel Noratis

Inhalt

Im Rahmen einer typischen Unternehmensanalyse stoßen wir in vielen Fällen unweigerlich auf eine Fragestellung, für deren Beantwortung wir Daten benötigen, die vom Unternehmen selbst entweder gar nicht, oder nicht in der erforderlichen Detailtiefe veröffentlicht werden.

Wenn nun externe Quellen (Marktdaten von Researchfirmen oder Ähnliches) ebenfalls keine passenden Daten bereitstellen, dann ist meist unsere Kreativität gefragt. Das bedeutet nichts anderes, als dass wir auf Basis der vorhandenen Daten sowie unter Zuhilfenahme einiger gut durchdachter Annahmen eine Abschätzung der erforderlichen Kennwerte erzeugen (das ist natürlich nicht in allen Fällen möglich).

In diesem Artikel möchte ich euch einmal anhand eines Beispiels erläutern, wie so eine Analyse in einem ganz konkreten Fall aussehen könnte. Beachtet allerdings, dass das Ergebnis im Hinblick auf die gesamte Unternehmensanalyse nur einen Teilaspekt beleuchtet und daraus noch keine Rückschlüsse auf den Investment-Case gezogen werden können.


Vorab: Benötigen wir die Analyse wirklich? Ist die Beantwortung der Frage kriegsentscheidend?

Meistens ist es doch so: Wenn wir uns ein bisschen mit einem Unternehmen, dessen Geschäftsberichten und Investorpräsentationen etc. auseinandergesetzt haben, dann poppen auf einmal eine ganze Reihe an Fragen in unserem Kopf auf.

Die Beantwortung dieser Fragen kann für das Verständnis der zukünftigen Entwicklung des Unternehmens essentiell sein… oder aber auch komplett nebensächlich und irrelevant.

Wichtig ist aus meiner Sicht, dass wir nicht zu viel Zeit mit der Beantwortung eigentlich irrelevanter oder nachrangiger Fragen vergeuden (auch wenn diese natürlich sehr interessant und spannend sein können). Deshalb sollten wir uns – bevor wir eine detaillierte Research-Aktion lostreten – zunächst darüber klar werden, welche vielleicht ca. drei bis vier Fragen tatsächlich für unsere Bewertung kriegsentscheidend sind (typischerweise decken wir damit bereits die großen und für die Entwicklung des Aktienkurses relevanten Werttreiber / Werthebel ab).


Case Study: Spezifische Veräußerungserlöse von Immobilienverkäufen

Im Folgenden möchte ich euch einmal beispielhaft eine Analyse vorstellen, die mich gegen Ende des Jahres 2023 ziemlich umgetrieben hat und mit der ich viel Zeit verbracht habe.


Situation: Immobilien-AG mit negativem Cash Flow

Zu der Zeit habe ich mich sehr intensiv mit der Noratis AG beschäftigt, einer Immobilien-AG, die ihr Geld historisch mit dem so genannten “Flipping” verdient hat.

Noratis hat also renovierungsbedürftige Immobilien angekauft, renoviert, instandgesetzt und ggf. wiedervermietet sowie anschließend an interessierte Investoren weiterveräußert.

Und weil nun die Immobilien in der Regel nur für sehr kurze Zeit auf der Bilanz gehalten wurden, hat Noratis mit den finanzierenden Banken größtenteils kurzlaufende und variable verzinste Baufinanzierungen abgeschlossen.

Als sich das Zinsumfeld nun aus Sicht der Kreditnehmer innerhalb so kurzer Zeit verschlechtert hat, wurde der Cash Flow auf einmal aufgrund der hohen Zinslast perspektivisch negativ.

In diesem Zusammenhang war die über allem stehende Frage natürlich die: Wie kann das Unternehmen den Cash Flow wieder positiv bekommen bzw. geht das überhaupt? Und bis wann? Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Veräußerungen von Einheiten?

Auf einer etwas tieferen Detailebene übersetzte sich das dann in die folgende Fragestellung: Zu welchem durchschnittlichen Verkaufspreis (in EUR je m² Wohnfläche oder noch besser je EUR Nettokaltmiete) konnte das Unternehmen seine Immobilien in der aktuellen Situation am Markt platzieren? Und welchen Einfluss würden zukünftige Veräußerungen auf die Bilanz und den Cash Flow haben?

Schonmal vorab zur Info: Der durchschnittliche bilanzielle Wert der Immobilien lag Stand H1-23 bei ca. 1.500 EUR je m² Wohnfläche:

Bilanzieller Wert = 451 Mio. EUR / 290.000 m² = 1.555 EUR je m²

Dabei setzten sich die 451 Mio. EUR zusammen aus dem Wert der Vorratsimmobilien (442 Mio. EUR) und dem Wert der als Finanzinvestition gehaltenen Immobilien bzw. “Investment Properties” (~9 Mio. EUR). Die durchschnittliche Wohnfläche je Einheit betrug zum 30.06.2023 ca. 66 m²:

Durchschnittliche Wohnfläche = 290.000 m² / 4.390 Einheiten = ~66 m²

In den nächsten Absätzen möchte ich einmal etwas detaillierter darauf eingehen, welche relevanten Informationen von der Noratis AG eigentlich veröffentlicht werden bzw. wurden und wie wir diese Informationen nutzen können, um die gestellte Frage bestmöglich zu beantworten.


Startpunkt: In Geschäftsbericht und Investorpräsentation veröffentlichte Daten

Das Unternehmen veröffentlicht verschiedene Informationen zum Immobilienportfolio.

Zum einen finden wir in der Investorpräsentation https://noratis.de/investor-relations/ eine Übersicht über das Portfolio sowie auch über den Zeitpunkt des Ankaufs, der Veräußerung, der Anzahl der Einheiten je Standort, der Gesamtmietfläche sowie der erzielten Rohertragsmarge:

Übersicht über die bereits veräußerten Objekte; Quelle: Investorpräsentation Noratis AG
Übersicht über die bereits veräußerten Objekte; Quelle: Investorpräsentation Noratis AG

Wir finden allerdings keine Information zum erzielten Verkaufserlös bzw. dem genauen Zeitpunkt der Veräußerung (der Begriff “Vertriebsende” gibt nach meinem Verständnis erstmal nur an, zu welchem Zeitpunkt die letzte Einheit des entsprechenden Objekts veräußert wurde).

Zum anderen enthält der Geschäftsbericht eines jeden Jahres die folgende Aufstellung zu den veräußerten Objekten (hier beispielhaft für das GJ 2020):

Übersicht über die Verkäufe des Geschäftsjahres 2020; Quelle: Geschäftsbericht Noratis AG 2020
Übersicht über die Verkäufe des Geschäftsjahres 2020; Quelle: Geschäftsbericht Noratis AG 2020

Dieser Tabelle können wir also nun genau entnehmen, wie viele Einheiten eines bestimmten Objekts im betrachteten Geschäftsjahr genau veräußert wurden. Im Jahr 2020 beispielsweise hat Noratis von den insgesamt 46 Einheiten in Erlensee genau 34 Stück verkauft.

Die übergeordneten Economics der Veräußerungen finden wir schließlich in der Gewinn- und Verlustrechnung:

Auszug aus der Gewinn- und Verlustrechnung der Noratis AG; Quelle: Geschäftsbericht Noratis AG 2020
Auszug aus der Gewinn- und Verlustrechnung der Noratis AG; Quelle: Geschäftsbericht Noratis AG 2020

Aus der Veräußerung der 86 angegebenen Einheiten konnte Noratis also ein Ergebnis (einen Gewinn vor Zuschlüsselung der Gemeinkosten wie Personal, Abschreibungen etc.) i.H.v. ~5 Mio. EUR erzielen. Der Verlaufserlös lag bei insgesamt 12 Mio. EUR, was ca. 140.000 EUR je verkaufter Einheit entspricht.

Wir sehen also: Es gibt zwar eine Detailaufstellung der Verkäufe entsprechend der Investorpräsentation. Allerdings lassen sich diese nicht wirklich in die im Geschäftsbericht dargestellten Zahlen überführen. Die Berechnung eines durchschnittlichen Verkaufspreises je EUR Nettokaltmiete ist gar nicht, der Verkaufspreis je m² nur mit weiteren Berechnungen bzw. Annahmen möglich.

Im Folgenden möchte ich einmal Schritt für Schritt auf diese Berechnungen und Annahmen eingehen:


Schritt 1: Ermittlung der durchschnittlichen Wohnfläche der einzelnen Objekte

Aus der in der Investorpräsentation dargestellten Tabelle können wir im ersten Schritt schonmal die durchschnittlichen Wohnflächen je Einheit für die individuellen Objekte ermitteln. Wenn wir uns einmal auf diejenigen Objekte fokussieren, in denen im Jahr 2020 Einheiten veräußert wurden, dann kommen wir auf die folgenden Durchschnittswerte:

Ermittlung der Durchschnittsfläche je Objekt; Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis Investorpräsentation Noratis AG
Ermittlung der Durchschnittsfläche je Objekt; Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis Investorpräsentation Noratis AG

Schritt 2: Berechnung durchschnittliche Wohnfläche der veräußerten Einheiten

Im nächsten Schritt können wir diese Durchschnittswerte dazu verwenden, um die durchschnittliche Wohnfläche der veräußerten Objekte zu ermitteln. Wir unterstellen also im Grunde genommen, dass alle Einheiten eines Objekts die gleiche Wohnfläche besitzen. Vermutlich liegen wir damit zwar nicht ganz richtig. Größere Objekte sind aber doch oft so geschnitten, dass die Wohnungen alle eine ähnliche Größe aufweisen (das gilt insbesondere für Apartmenthäuser).

Für die konkrete Berechnung nehmen wir außerdem die Detailaufstellung der Verkäufe aus dem Geschäftsbericht zur Hilfe.

Ermittlung der Durchschnittsfläche der veräußerten Objekte; Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis Investorpräsentation Noratis AG
Ermittlung der Durchschnittsfläche der veräußerten Objekte; Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis Investorpräsentation Noratis AG

Im Detail multiplizieren wir also die Anzahl veräußerter Einheiten je Objekt mit der zuvor ermittelten Durchschnittsfläche. Also beispielsweise für Erlensee:

Insgesamt veräußerte Quadratmeter = Anzahl veräußerter Einheiten x Durchschnittsfläche je Einheit = 34 Einheiten x 76 m²/Einheit = 2.587 m²

Anschließend summieren wir die Gesamtfläche aller veräußerten Einheiten auf (= 6.453 m²) und teilen diese durch die Anzahl veräußerter Einheiten (= 86 Stück). Es ergibt sich eine Durchschnittsfläche für die veräußerten Einheiten i.H.v. ~75 m².

Kleiner Einschub:

Um die durchschnittlichen Verkaufserlöse je Quadratmeter und Jahr zu ermitteln, können wir nicht einfach auf die in der Investorpräsentation angegebenen Veräußerungszeitpunkte abstellen. Wie gesagt gibt der Zeitpunkt des Vertriebsendes nur an, wann die letzte Einheit aus dem entsprechenden Objekt veräußert wurde. Im Falle einer Aufteilung und eines Verkaufs von (ggf. leerstehenden) Einzelwohnungen kann sich die Vermarktung allerdings gut und gerne über zwei, drei Jahre hinziehen, was bedeutet, dass die jeweiligen Verkaufserlöse in den GuVs verschiedener Geschäftsjahre auftauchen können.

Veräußerungserlöse für das Objekt in Erlensee können wir deshalb gleich in drei Geschäftsjahren finden: 10 Einheiten in 2019, 34 Einheiten in 2020 und die restlichen 2 Einheiten in 2021.

Darüber hinaus kann es außerdem Effekte aus der Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten geben (heißt ggf. wurden Kaufverträge noch spät im Geschäftsjahr geschlossen, Kaufpreiszahlung und Eigentumsübergang fanden aber erst im darauffolgenden Geschäftsjahr statt).


Schritt 3: Ermittlung Veräußerungserlös je Quadratmeter

Im letzten Schritt müssen wir nur noch die erzielten Veräußerungserlöse durch die insgesamt veräußerten Quadratmeter teilen, um den durchschnittlichen Verkaufserlös zu erhalten:

Verkaufserlös je m² = 12 Mio. EUR / 6.453 m² = ~1.860 EUR/m²

Für die im Jahr 2020 veräußerten Einheiten konnte Noratis also im Durchschnitt einen Verkaufserlös in Höhe von ca. 1.860 EUR/m² erzielen.


So what? Was sagt uns das Ergebnis?

Wenn wir diese Analyse einmal für ein paar historische Jahre durchführen und die Berechnung parallel auch für die Einkaufsseite einmal auf ein Chart plotten, dann ergibt sich das folgende Bild:

Durchschnittliche Kauf- und Verkaufspreise Noratis AG [EUR/m²]; Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Geschäftsberichte und Investorpräsentationen von Noratis
Durchschnittliche Kauf- und Verkaufspreise Noratis AG [EUR/m²]; Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Geschäftsberichte und Investorpräsentationen von Noratis

Aus meiner Sicht können wir hieraus mehrere interessante Rückschlüsse ziehen:

  1. Marktbewegungen: Man sieht deutlich die Marktbewegungen, d.h. Einkaufs- und Veräußerungsseite schwingen relativ parallel
  2. Veräußerungen 2018-2022: Bisherige Veräußerungen konnten immer substantiell oberhalb des bilanziellen Wertes, der ja die gesamten “Herstellkosten” der Immobilien inkl. Kaufpreis und Instandsetzungsmaßnahmen berücksichtigt, realisiert werden. Historisch lag die Noratis AG mit ihren Veräußerungen also deutlich in der Gewinnzone
  3. Veräußerungen H1 2023: Die Preise im ersten Halbjahr 2023 allerdings sind stark eingebrochen und erstmals knapp unter den bilanziellen Wert gefallen (dass trotzdem noch ein positiver Verkaufserfolg vermeldet werden konnte, liegt vermutlich daran, dass es sich um ein etwas heterogeneres Portfolio handelt… heißt es wurden Objekte mit einem Bilanzwert unterhalb der 1.500 EUR/m²-Marke veräußert)
  4. Implikationen auf den zukünftigen Gewinn: Setzt sich dieser Trend fort, d.h. bleiben die Zinsen auf einem im Vergleich zu den letzten Jahren hohen und damit die Kaufpreise auf einem im Vergleich niedrigen Niveau, dann wird Noratis ab einem gewissen Zeitpunkt mit den Veräußerungen keine Gewinne (entsprechend P&L-Logik) mehr erwirtschaften können bzw. den bilanziellen Wert des Portfolios ggf. außerplanmäßig nach unten korrigieren müssen (Sonderabschreibung bzw. Wertberichtigung)

Ich muss dazu sagen, dass dieser Aspekt nur einen kleinen Teil der gesamten Noratis-Story ausmacht. Viele wesentlicher für das Unternehmen war damals die Reduzierung der Verschuldung bzw. die Ablösung einer bis Ende 2025 fälligen Anleihe.

In diesem Artikel wollte ich euch primär einmal ein mögliches Vorgehen zur Ableitung von Kennzahlen vorstellen, die nicht unmittelbar aus den in den offiziellen Dokumenten veröffentlichten Kennzahlen ersichtlich sind.

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